22-01-2009 Beijing Rundschau
Im Rausch der Zahlen
Von Matthias Mersch

 

Heißt Ausland wirklich Ausland?

Die Vernetzung der Weltwirtschaft ist so komplex und in vielen Bereichen deutlich weniger transparent, als es das nüchterne Zahlenmaterial der Statistiker gerne suggeriert. Nehmen wir zum Beispiel die nach China fließenden ausländischen Direktinvestitionen. Heute stammen 60 Prozent der Exporte Chinas aus den Werkhallen auslandsfinanzierter Unternehmen. Aber ist das Ausland auch immer wirklich die Quelle dieser Gelder? So herrscht unter Experten heute die Meinung vor, das ein erheblicher Teil der Investitionen aus Hongkong, dem größten Importeur von Kapital nach China, in Wahrheit vom Festland stammt, auf Hongkonger Bankkonten gewaschen und dann in China reinvestiert wird, einzig um so in den Genuss von Steuerbegünstigungen und anderen Vorteilen zu gelangen. Also ein Fall von eindeutigem Subventionsbetrug, aber immerhin auch ein Zeichen für eine geringere Abhängigkeit Chinas von ausländischem Kapital. Schattenwirtschaft und internationale Wirtschaftsverflechtungen lassen es zunehmend fraglicher erscheinen, Statistiken des BIP zu erstellen und sich davon irgendeine relevante Auskunft über die Wirtschaft eines Landes zu erhoffen. Wie lässt sich statistisch Nachhaltigkeit bestimmen, wie der Unterschied zwischen einem sweatshop, der mit seiner Produktion kurzfristige Exporterlöse abschöpft, also dem Klischee von China als der „Werkbank der Welt“ entspricht, und einem langfristigen China-Engagement markieren, das vor allem den Binnenmarkt bedienen möchte? Denn natürlich hat die astronomische Zahl von 1,3 Milliarden potentieller Konsumenten die Phantasie der Produzenten schon seit langem beflügelt. Volkswagen folgt einer langfristigen Strategie in China bereits seit mehr als 25 Jahren. Aber nach China wurde nicht nur Kapital eingeführt, sondern mit ihm auch die Probleme der industriellen Produktion. Die chinesischen Reformer haben in gänzlich unreformiertem Bewusstsein und in vollem Einklang mit den Erwartungen der ausländischen Investoren den schonungslosen Zugriff auf natürliche Ressourcen lange Zeit als Wettbewerbsvorteil missverstanden. Erhebliche Umweltprobleme sind die Folgen eines allzu bedenkenlosen Ergreifens gewinnbringender Gelegenheiten. Das Wort vom nachhaltigen Wirtschaften, zuletzt vom ehemaligen Vizepräsidenten der USA, Al Gore, in die Diskussion geworfen, macht schon seit geraumer Zeit die Runde, hatte aber bislang keine Chance gegen die Anhänger eines Raubtierkapitalismus und die in China überaus aktiven Freunde des Einsatzes kumulierten Kapitals auf dem Spielplatz Börse. In letzter Zeit ist viel von gemeinsamem Handeln und Antiprotektionismus die Rede, wenn von der globalen Wirtschaftskrise gesprochen wird. Dass man beginnt, die aktuelle Lage der Weltwirtschaft nicht mehr mit dem Vokabular der Sportberichterstattung zu kommentieren, ist erfreulich und ein Zeichen für das Erstarken einer kritischen Betrachtung ökonomischer Ereignisse. Viel interessanter als die Klärung der Frage, wer Exportweltmeister des Jahres 2009 wird, ist aber die Antwort auf die Frage, in welchem Zustand China und Deutschland, die ja angeblich gemeinsam in Bewegung sind, die Weltwirtschaftskrise überstehen werden. Die steht nämlich – sportlich gesprochen – noch am Startpunkt zum großen Marathonlauf!

 

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