24-08-2009 Beijing Rundschau
Die Geschichte einer ehemaligen „intellektuellen Jugendlichen"
von Chen Ran

Liu Jinyan, 23 Jahre alt, in der Baolingquan-Volkskommune

Das letzte Frühlingsfest ist für die 60-jährige Liu Jinyan etwas ganz Besonderes gewesen: zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie das chinesische Neujahr im Ausland gefeiert. Noch dazu mitten im Sommer, und zeitgleich mit dem Nationalfeiertag der Australier am 26. Januar! In Begleitung von Tochter und Schwiegersohn haben Liu und ihr Mann in Sydney nicht nur den Festumzug angeschaut, sondern auch eine Automobilausstellung besichtigt.

„Ausländer feiern ganz anders. Der Nationalfeiertag in Australien ist wie eine große Party. Zum ersten Mal habe ich so viele Autos gesehen, darunter auch Oldtimer, die älter sind als ich", erinnert sich Liu. „Obwohl draußen die Sonne glühte, aßen wir zu Hause ganz nach chinesischer Tradition Jiao Zi (Teigtaschen). Dieses Frühlingsfest war sehr interessant!"

 

Eine „intellektuelle Jugendliche"

Vor vierzig Jahren konnte Liu von einer Auslandsreise noch nicht einmal träumen.

Liu wurde im Jahr 1949 in Harbin im Nordosten Chinas geboren. Da Lius Mutter kränklich war, musste sie als erste Tochter sehr früh Verantwortung übernehmen und sich um ihre Geschwister kümmern. Die Schule besuchte sie erst im Alter von zehn Jahren.

Im Jahr 1968 wurde Liu als „intellektuelle Jugendliche" in die Baolingquan-Volkskommune in Hegang geschickt, einer kleinen Stadt in der Nähe von Harbin. Dort sollte sie arme Bauern unterrichten und zugleich bei Feldarbeit vom Leben und den Erfahrungen der Bauern lernen. Mit ihrer Schulbildung war es damals allerdings nicht sehr weit her: sie hatte noch nicht einmal die 2. Klasse der Mittelschule abgeschlossen.

Liu erinnert sich, dass die Baoquanling-Volkskommune ein unkultiviertes Land war. In der Nacht konnte man manchmal sogar Wolfsgeheul hören! Man nannte das Gebiet damals „Große Nördliche Wildnis". Dank den Bemühungen von Liu und anderen Jugendlichen wurden über 10 000 ha Ödland urbar gemacht. „Damals lautete unser Motto: ‚Die Große Nördliche Wildnis in die Große Nördliche Getreidekammer verwandeln'", sagt Liu.

„Das Schönste war damals für mich, jeden Tag nach der Arbeit im Bett zu liegen und ein Buch zu lesen", sagt Liu lächelnd. „Von klein auf lese ich sehr gern. Ein Arbeitskollege aus Beijing hatte sehr viele Bücher in die Volkskommune mitgebracht. Damals liehen wir uns gerne Bücher von ihm aus. Ich kann mich jetzt noch erinnern, dass ich ein dickes Buch las, in dem viele Drehbücher von Filmen aus der Sowjetunion abgedruckt waren. Ich hab aber nur 40 Prozent von dem verstanden, was ich gelesen habe. Trotzdem hat das Buch mir eine Tür zur ausländischen Kultur geöffnet."

Im Jahr 1973 starb Lius Mutter. Ihr Wunsch, in die Stadt zurückzukehren, wurde immer stärker. Kurz vor dem 1. Oktober erhielt Liu endlich die gute Nachricht, dass sie in ihre Heimatstadt zurückkehren darf. Und Liu ging zurück nach Harbin. „Ich fühlte mich damals wie ein Vogel, dessen Käfig geöffnet wurde", sagt Liu.

Wenn Liu sich die Zeit in der Volkskommune ins Gedächtnis ruft, sagt sie, dass sie keine Reue darüber empfindet, ihre besten Jahre bei harter Felderarbeit zugebracht zu haben. Sie sagt: „Manchmal träume ich von der Baoquanling-Volkskommune. Obwohl das Leben dort sehr hart und bitter war, habe ich eine ganz andere Seite des Lebens kennen gelernt. Das Leben im Kollektiv hat mich immer toleranter gemacht. Ich habe auf der Farm so viele Schwierigkeiten überwunden, dass ich später sehr gelassen auf verschiedene Probleme reagieren konnte."

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