18-09-2008 Beijing Rundschau
Milchskandal und das Vertrauen der Verbraucher
von Matthias Mersch

Der Skandal um Melamin in Milchpulver aus China weitet sich aus: bislang sind drei Babys nach der Bildung von Nierensteinen an akutem Nierenversagen gestorben, 6244 Säuglinge sind erkrankt. Mit Melamin verseuchtes Milchpulver des Marktführers Sanlu steht dabei als Verursacher nicht allein am Pranger. Von einer Rückrufaktion sind mittlerweile 22 Hersteller von Milchpulver betroffen, darunter Mengniu (und sein skandinavischer Partner Arla), Yili, Yashili, Qingdao Suokang und Bright Dairy. In einer Pressekonferenz gab Chinas oberster Lebensmittelwächter Li Changjiang am Mittwoch bekannt, dass Gebinde des kontaminierten Pulvers auch in den Export geraten sind: Bangladesch, Jemen, Myanmar, Burundi und Gabun stünden auf den Lieferlisten. Bisher seien in China tonnenweise Milchpulver vor allem der Firma Sanlu aus dem Verkehr gezogen worden. Rund 5 000 Inspekteure seien landesweit auf der Suche nach Ladenbeständen des tödlichen Milchpulvers, 10 000 Kinder sollen bislang in Reihenuntersuchungen untersucht worden sein.

Angeblich wurden bereits vier Molkereibesitzer oder Bauern verhaftet, die gestanden haben sollen, große Mengen Milch mit der Chemikalie versetzt zu haben. Andere Quellen sprechen von insgesamt 19 Verhaftungen, unter den Festgesetzten befindet sich auch die Generalmanagerin von Sanlu,Tian Wenhua. Ihrer Ämter enthoben wurden Ji Chuntang, der Bürgermeister von Shijiazhuang, Zhang Fawang, stellvertretender Bürgermeister und verantwortlich für die Landwirtschaft, sowie Zhang Yi, Direktor der örtlichen Lebensmittelkontrolle. Shijiazhuang ist die Hauptstadt der nordchinesischen Provinz Hebei und Sitz der Sanlu Gruppe.

Was hier wie rasches und entschlossenes Handeln der chinesischen Regierung aussieht, hat in Wirklichkeit aber eine erstaunlich lange Vorgeschichte.

Yang Chongyong, Vizegouverneur von Hebei, wirft den Lokalbehörden von Shijiazhuang vor, "die Öffentlichkeit nicht rechtzeitig von diesem gravierenden Fall mangelnder Lebensmittelsicherheit unterrichtet zu haben.” Sanlu habe den Behörden Details des Vorfalls bereits am 2. August, also kurz vor Beginn der Olympischen Spiele, mitgeteilt,so hieß es in der Zeitung "The New Zealand Harald”. Sanlu seinerseits hat es jedoch ebenfalls vorgezogen, gegenüber der Öffentlichkeit zu schweigen. Es erging aber lediglich eine Rückrufaktion an den Einzelhandel.

Fonterra, der neuseeländische Erzeuger von Milchprodukten, der mit 43 Prozent an Sanlu beteiligt ist, sitzt mit drei Mitgliedern im Aufsichtsrat des chinesischen Unternehmens, von dem es am 2. August über den Nachweis von Melamin im Milchpulver in Kenntnis gesetzt wurde. Den Weg nach Neuseeland scheint diese Nachricht aber nicht leicht gefunden zu haben: die neuseeländische Botschaft in Beijing habe zwar am 14. August vom Vorfall Kenntnis erlangt, sich jedoch nicht veranlasst gesehen, dies nach Auckland durchzureichen. Fonterra wandte sich erst am 5. September an das Büro der neuseeländischen Premierministerin Helen Clark, die nach einer Regierungssitzung am 8. September den Botschafter des Landes in Beijing angewiesen hat, die chinesische Regierung zu informieren.

Nicht nur die "Grünen” im Parlament in Auckland fragen nun Fonterra, warum es die Schadensmeldung über einen Monat unter der Decke gehalten habe.

Andrew Ferrier, CEO von Fonterra, antwortet in der Art eines antiken Orakels: man habe, so zitiert ihn der ”New Zealand Herald”, „nicht gesehen, wie wir einen angemessenen Einfluss auf die Entscheidung hätten nehmen können, die Ware aus den Regalen der Supermärkte zu räumen. Wir hatten keine Gewähr dafür, dass wir bei einer Aktion außerhalb des Systems irgendetwas hätten ausrichten können."

Die Erklärung, was es mit diesem ominösen „System" auf sich hat, liefert vielleicht Steve Dickinson in der neuseeländischen Zeitung „The Dominion Post". Der erfahrene Anwalt ist seit den frühen achtziger Jahren mit den Gepflogenheiten der chinesischen Lebensmittelindustrie vertraut: „Die Wirklichkeit sieht doch so aus: wenn du eine 43-prozentige Beteiligung an einem Betrieb in China hast, bist du ein Nichts. Du weißt nichts, du hast keinerlei Macht."

Doch damit nicht genug: der Fall scheint eine noch viel längere Inkubationszeit zu haben, seine Ursprünge liegen weit vor Anfang August und sollen auf Februar oder März 2008 zu datieren sein. Die "Dominion Post” stützt sich dabei auf Angaben von Jamil Anderlini, Beijinger Korrespondent der "Financial Times”. Dieser schätzt Berichte als glaubwürdig ein, in denen davon die Rede ist, dass eine betroffene Familie in einer Internet-Aktion auf das verdächtige Milchpulver hingewiesen habe, von Sanlu und chinesischen Behörden aber eingeschüchtert worden sei. "Offensichtlich gab es ein paar chinesische Reporter, die darüber schon vor Monaten recherchiert haben, aber von der Regierung zurückgepfiffen worden sind. Die inzwischen verhaftete Generalmanagerin von Sanlu Tian Wenhua soll die Behörden bereits Anfang Juli über die Verunreinigung informiert haben.

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