13-11-2008 Beijing Rundschau
Barack Obama Superstar: Hoffnungen und Bedenken in Europa
von Matthias Mersch

Es hat etwas grob Fahrlässiges, wenn die Bundesregierung in der aktuellen Krise ein vermeintliches Konjunkturpaket beschließt, dafür aber so gut wie kein Geld ausgeben will. Anders als sie es gern vorgaukelt, hat sie dieses Jahr per Saldo gar nicht für Entlastung gesorgt; nach EU-Rechnung ist trotz Unternehmensteuerreform und sinkenden Abgaben strukturell kein zusätzliches Geld in die Wirtschaft geflossen. Für 2009 droht nach der Diagnose der EU sogar eine steigende Belastung - mitten in der dramatischsten Krise seit Jahrzehnten. Wer so eine Regierung hat, braucht keine Feinde mehr."

Der bekannte Sozialphilosoph Jürgen Habermas sieht in der ZEIT die Dinge weniger dramatisch und den Schulterschluss Europas mit Obama als alternativlos:

„Die USA werden aus der jetzigen Doppelkrise geschwächt hervorgehen. Aber sie bleiben einstweilen die liberale Supermacht und befinden sich in einer Lage, die es ihnen nahelegt, das neokonservative Selbstverständnis des paternalistischen Weltbeglückers gründlich zu revidieren. Der weltweite Export der eigenen Lebensform entsprang dem falschen, dem zentrierten Universalismus alter Reiche. Die Moderne zehrt demgegenüber von dem dezentrierten Universalismus der gleichen Achtung für jeden. Es liegt im eigenen Interesse der USA, nicht nur ihre kontraproduktive Einstellung gegenüber den Vereinten Nationen aufzugeben, sondern sich an die Spitze der Reformbewegung zu setzen. Historisch gesehen, bietet das Zusammentreffen von vier Faktoren – Supermacht, älteste Demokratie auf Erden, Amtsantritt eines, wie ich hoffe, liberalen und visionären Präsidenten sowie eine politische Kultur, in der normative Orientierungen einen bemerkenswerten Resonanzboden finden – eine unwahrscheinliche Konstellation. Amerika ist heute tief verunsichert durch das Scheitern des unilateralistischen Abenteuers, durch die Selbstzerstörung des Neoliberalismus und den Missbrauch seines exzeptionalistischen Bewusstseins. Warum sollte sich diese Nation nicht, wie so oft, wieder aufrappeln und versuchen, die konkurrierenden Großmächte von heute – die Weltmächte von morgen – rechtzeitig in eine internationale Ordnung einzubinden, die keine Supermacht mehr nötig hat? Warum sollte ein Präsident, der – aus einer Schicksalswahl hervorgegangen – im Inneren nur noch einen minimalen Handlungsspielraum vorfindet, nicht wenigstens außenpolitisch diese vernünftige Chance, diese Chance der Vernunft ergreifen wollen?"

Ich schätze die Bewegung, die Habermas durch seine Argumente in unsere Gedanken bringen kann, sehe aber die Gefahr, dass er in die Wiedergabe journalistischer Meinungen verfällt. Das viel lehrreichere Beobachten bleibt dabei auf der Strecke. Besser gefällt mir also der Bericht über die Erfahrung, die Adrienne Woltersdorf, Amerika-Korrespondentin der taz, mit der gut geölten Wahlkampfmaschine Obamas gemacht hat: „Das Ganze gipfelte bekanntlich in der historischen Nacht von Chicago." Der Reporterin waren nur zwanzig Minuten zugestanden, um Zuschauer nach ihrer Stimmung zu befragen. Auf die Frage, was diese kuriose Regelung der Wahlkampfleitung bedeuten sollte, erhielt sie die Antwort: „`Wir wollen doch nicht, dass Sie einfach so mit den Leuten sprechen. Das sind Freiwillige. Wer weiss, was die Ihnen erzählen".

Noch deutlicher wird die taz auf ihrer Satireseite, die den Namen „Wahrheit" trägt. Die Überschrift ist ein flehentlicher Ruf: „Langsam reichts: Oh Herr, Obama dich unser!"  Wir erfahren, dass ein am Wahltag im Frankfurter Zoo zur Welt gekommenes Alpaka-Baby nun den Namen des künftigen Präsidenten trägt: „Obama das Lama ist zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, erkundet aber schon munter das Terrain. Ganz wie sein Namensgeber." Am Ende des Artikels aber gibt es eine nachdenkliche Wendung: „Auch ist der neue Präsident kein neuer Messias, noch nicht mal ein Prophet oder ein Heiliger. Das vergessen viele in all dem Geschwurbel. Die Geschichte zeigt, dass es kaum einen US-Präsidenten gegeben hat, der nicht gelogen hat oder korrupt war."

 

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