06-08-2009 Beijing Rundschau
„Der öffentliche Raum gehört uns allen"
von Wu Yanfei

In vielen Städten Chinas kann man ein Katze-und-Maus-Spiel beobachten, wenn uniformierte Ordnungsbeamte ambulante Händler jagen. Unvermeidlich kommt es zu Konflikten, manchmal sogar zu blutigen Konflikten. Kein Zweifel, dass derartige Vorfälle den Bemühungen von Regierung und Partei um den Aufbau einer harmonischen Gesellschaft zuwiderlaufen.

Seit dem 21. Juli wird nun eine Umfrage zum Thema „ Vorschriften für selbständig Gewerbetreibende" durchgeführt. Erstmals dürfen sich ambulante Händler als Selbständige anmelden. Ein fester Firmensitz soll nicht mehr Voraussetzung für eine Registrierung als Selbständiger sein. Zur Zeit halten sich etwa 30 Millionen ambulante Händler auf den Straßen von Chinas Städten auf, und sie sind die Zielscheibe der Ordnungsbeamten.

Die Lockerung der Politik wird allgemein begrüßt. Man spricht davon als einen erfreulichen Fortschritt in der Stadtverwaltung und als wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Harmonie. Zhang Chewei, Wissenschaftsrat des Forschungsinstituts für Bevölkerung und Arbeit der Akademie für Sozialwissenschaften, hofft nun, dass „die bislang starren und groben Maßnahmen der Stadtverwaltung durch flexiblere und effektivere ersetzen werden". Er meint, dass dadurch vor allem Kleinverdienern dazu verholfen werden kann, ihre Einkommenssituation zu verbessern.

Cui Lizhang kam vor über 10 Jahren von Baoding nach Beijing. Aufgrund von Gesundheitsproblemen fand er keinen Job. Deswegen hat er unter einer Straßenlaterne an der Baiwanzhuang Straße einen Stand für Fahrradreparaturen mit einem Schutzdach eingerichtet. Er bietet den Radfahrern Dienstleistungen an wie das Flicken von Fahrradschläuchen und das Aufpumpen der Räder. Obwohl sein Stand den Verkehr nicht behindert, ist er gemäß den Vorschriften illegal. Weil Cui behindert ist, hat das Ordnungsamt glücklicherweise seinen Stand nicht beschlagnahmt. Trotzdem möchte er sehr gerne eine legale Gewerbeerlaubnis: „Selbst wenn ich dafür jeden Monat 200 Yuan zahlen müsste." Weil er keine Gewerbeerlaubnis hat, lebt er in ständiger Angst. Wenn Firmen und öffentliche Einrichtungen Quittungen für eine Reparatur brauchen, kann er die nicht ausstellen, weil er kein legales Geschäft betreibt. Dadurch hat er schon viel Umsatz verloren. Er sagt, wenn er durch offizielle Anmeldung einen legalen Stand hätte, würde er sich viel sicherer fühlen.

Es gibt auch Leute, denen nichts an einem „Gang in die legale Selbständigkeit" liegt. Ein Händler, der in einem Wohnviertel im Bezirk Haidian von einem tuckernden, dieselbetriebenen Dreirad aus Obst verkauft, wollte sich eigentlich als Selbständiger anmelden, aber nachdem er auf dem Amt für Industrie und Handel war, ist ihm rasch klar geworden, dass die Sache zu kompliziert ist. Deshalb hat er sich entschieden, weiter „illegal" zu bleiben. Da sein Obst frischer ist, als das, was andernorts angeboten wird, floriert sein Geschäft. Die Nebenumstände findet er erträglich: „Wenn die Ordnungsbeamten kommen, fliehe ich einfach. Meine Frau und mein Kind stehen für mich Schmiere." Er hat die Befürchtung, dass, wenn er sich erst einmal als Selbständiger anmeldet hat, alles Mögliche an Formalitäten, Steuern und Gebühren auf ihn zukommt: „Davor kann man nicht mehr fliehen, auch wenn man will!"

Professor Zhang Chewei ist der Meinung, dass die Maßnahmen zur Legalisierung des ambulanten Handels nicht durchgeführt werden sollten, damit Behörden mehr Steuern und Gebühren erheben können, sondern damit Leuten, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, bessere Perspektiven eröffnet werden können. Der Schwerpunkt dieser Maßnahme sollte die Erhöhung der Einkommen dieser Personengruppe sein, ihr Eintritt in die Sozialversicherung, die Erhöhung der Erwerbstätigenquote und der Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität. Eine Erhöhung des Steueraufkommens sei da von völlig untergeordneter Bedeutung. Er sagt: „Es sollte eine Politik der geringen Steuerlast oder sogar eine Steuerbefreiung für diese Gruppe geben. Die Kosten sollten für die Kleingewerbetreibenden nicht zunehmen, wenn sie sich legalisieren, sonst hat doch die ganze Maßnahme überhaupt keinen Sinn!"

Angesichts der heftigen Diskussion über die Legalisierung des ambulanten Handels in ganz China meint Luo Yameng, Exekutiv-Präsident und Generalsekretär des Verbands der Direktoren der Ordnungsämter: „Das Amt für Industrie und Handel sollte nicht nur Gebühren erheben und Lizenzen ausgeben und im Übrigen die Probleme auf die Gesellschaft, insbesondere auf die Ordnungsämter, abwälzen." Er glaubt, dass die Legalisierung aller ambulanter Händler die Stadtverwaltungen vor große Schwierigkeiten stellen wird. Die Leute würden dazu ermuntert, mit ambulantem Handel ihre Betriebskosten zu senken. „Der öffentliche Raum gehört allen Bürgern. Wenn jedermann ambulanter Handel erlaubt wäre, würden die Städte in Chaos geraten und nicht mehr vernünftig verwaltet werden können." Er schlägt stattdessen vor, angesichts der Wirtschaftskrise diese Maßnahme nur als zeitweiligen Notbehelf einzuführen, sie aber auf sehr arme Leute zu beschränken, und nicht allen ambulanten Händlern zu eröffnen.

Zhang Chewei hält es für eine Ausrede, dass die Legalisierung des ambulanten Handels die Stadtverwaltungen in Probleme stürzen würde: „Ich glaube, dass die Ordnungsämter nur Angst vor der Arbeit haben, die da möglicherweise auf sie zukommt." Er meint, wenn die ambulanten Händler sich erst einmal legalisiert haben, wird noch einiges mehr auf sie zukommen: etwa Gesundheits- und Lebensmittelkontrollen. Aber dazu wird eigentlich keine Verwaltung gebraucht. „Ich habe im Ausland oft ambulante Händler gesehen, die Blumen oder Spielsachen verkaufen. Sie gehören zur Landschaft der Stadt. Ich finde, dazu ist keine Verwaltung notwendig. Wenn die Regierung etwas tun will, dann sollte sie diesen Leuten mehr Dienstleistungen und Hilfestellungen bieten."

Mehr dazu:
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