25-02-2010 Beijing Rundschau
Rätselhafter Mangel an Arbeitskräften
 

In einem Land, in dem das Angebot an Arbeitskraft traditionell höher ist als die Nachfrage, sorgt der gravierende Mangel an Wanderarbeitern in Chinas Wirtschaftszentren nach dem Neujahrsfest für Aufregung.

 Laut Medienberichten soll die Zahl offener Stellen im Gebiet des Perlflussdeltas, seit dreißig Jahren das legendäre Zentrum von Chinas Exportboom, rund eine Million betragen. Fließbänder stehen still und auf den Baustellen ist die Arbeit eingestellt, obwohl besorgte Unternehmer die Löhne bereits um mehr als 30 Prozent erhöht haben. Wohin also sind die der Theorie nach arbeitslosen Bauern entschwunden? 

Strukturelle Arbeitslosigkeit – ein Missverhältnis zwischen der vorhandenen und der nachgefragten Qualifikation von Arbeitskräften – kann das Phänomen nicht restlos erklären. Um die Frage beantworten zu können, muss man eine ganze Reihe von Faktoren ins Auge fassen, die bezeichnend sind für die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der chinesischen Gesellschaft.  

Zunächst einmal besteht tatsächlich ein zweifaches Strukturproblem: viele der unbesetzten Stellen erfordern spezifische berufliche Qualifikationen, was auf eine Aufwärtsbewegung der chinesischen Exportindustrie in der Wertschöpfungskette hindeutet. Auf der anderen Seite beklagen einige Unternehmer, dass viele unter den Wanderarbeitern der jungen Generation nicht länger an einfachen Tätigkeiten und harter Arbeit interessiert seien, wie sie im Baugewerbe üblich seien.
 
Dieses mangelnde Interesse an schlecht bezahlter, körperlich anstrengender Arbeit wird auf den zweiten Faktor zurückgeführt: wachsende Einkommen der bäuerlichen Bevölkerung. Die Zentralregierung hat durch eine kontinuierliche Politik in den letzten Jahre darauf abgezielt, die Landwirtschaft zu entwickeln und den Bewohnern ländlicher Gebiete das Alltagsleben zu erleichtern. Dies hat zu dieser an sich positiven Entwicklung beigetragen. Im Jahr 2007 wird die Zahl der Landbewohner in China auf 727,5 Millionen beziffert, sie stellt noch immer die Mehrheit der Bevölkerung und gelangt in den Genuss von Steuererleichterungen und Subventionen. Dies hat die  ländlichen Einkommen so weit ansteigen lassen, dass es inzwischen wieder einträglicher ist, als Bauer zu arbeiten, anstatt die Fenster von Wolkenkratzern zu putzen. 

Die fast unbemerkt vollzogene Reform des Bodenrechts, die es erlaubt, Ackerland von Bauern zu pachten, um es mechanisiert zu bestellen und damit die Erträge zu erhöhen, trägt Früchte und sorgt zugleich für eine wachsende Zahl beschäftigungsloser Bauern, die es sich jedoch leisten können, von den ansehnlichen Erträgen ihrer Pacht zu leben.
 
Der gegenwärtige Mangel an Arbeitskräften in der Jangtse-Region und im Perlflussdelta ist teilweise durch den Bauboom in Städten Zentralchinas und entsprechend wachsender Wirtschaftskraft dieser Regionen bedingt. Viele Wanderarbeiter bevorzugen heute Jobs in Chongqing, Wuhan und Nanchang, denn mittlerweile kann man dort nahezu genauso viel Geld verdienen wie in Shanghai, hat aber deutlich geringere Lebenshaltungskosten. Außerdem ist die Entfernung zur Heimat nicht so groß. 

Wie bereits in den Städten Chinas scheint nun auch auf dem Lande die Jugend eine andere Sicht auf die Welt einzunehmen. Während die Elterngeneration – Wanderarbeiter in ihren späten Vierzigern und frühen Fünfzigern – allmählich heimkehrt und nicht länger für Wanderarbeit zur Verfügung steht, sind deren Kinder unter vergleichsweise günstigen Bedingungen herangewachsen und sind in weitaus geringerem Maße dem Druck ausgesetzt, für den eigenen oder den Unterhalt ihrer (kleineren) Familien zu sorgen.

"Ich bin nicht dazu bereit, wie mein Vater ein entbehrungsreiches Leben in der Stadt zu führen", erzählt ein junger Mann in der Lokalpresse. Mit den Ersparnissen ihrer Eltern, die sich in den Städten einem jahrzehntelangen Existenzkampf ausgesetzt haben, ist es den Familienangehörigen auf dem Lande gelungen, Häuser zu bauen, elektrische Haushaltsgeräte zu erwerben und ein Leben in bescheidenem Wohlstand zu führen. 

 Auf lange Sicht bietet der gegenwärtige Arbeitskräftemangel einen Vorgeschmack auf die viel massiveren Probleme, die sich in den nächsten Jahrzehnten als eine negative Folge der Ein-Kind-Politik einstellen werden. Es droht eine rasante Überalterung der Bevölkerung. Dies wird sich zu einem der am schwierigsten zu lösenden Probleme Chinas auswachsen. (Quelle:cn.wsj.com)

 
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