21-11-2008 Beijing Rundschau
Haar ohne Suppe – Beeindruckende Kunstaktion in Caochangdi
von Matthias Mersch 

 

china-hair-connection Beijing-Cologne, das ist der Titel eines interdisziplinären Performance-Projekts im öffentlichen Raum von Angie Hiesl und Roland Kaiser. Ende August waren fünf chinesische und fünf europäische Tänzer- und Tänzerinnen im Kölner Eigelstein-Viertel zu Gast, Mitte Oktober wurde die Truppe nach Beijing verlegt. Im Herbst 2008 ist Beijing eine Stadt, deren öffentlicher Raum durch die olympischen Wochen so sehr verbraucht  ist, dass die zuständigen Behörden eine weitere Kunstaktion im Stadtzentrum wohl nicht mehr genehmigen wollten. Die „Hair Connection“ musste sich also ein Ausweichquartier suchen, was sich für die Performance als Gewinn erwies.

 

Caochangdi und Nachbarn

 

Man zog mit den reichhaltigen Requisiten nach Caochangdi, dem „Gräserfeld“ und alten Weidegebiet der Rösser des Qing-Kaiserhofs weit außerhalb der damaligen Hauptstadt. Heute liegt das Gebiet allerdings gleich hinter dem Fünften Ring, nicht weit von der Kunstmeile 798 entfernt. Anders als die Kunstmeile, die mittlerweile in rasanter Geschwindigkeit Kommerzialisierung und Banalisierung erlebt, steht Caochangdi noch am Anfang seiner Umwandlung. Ländlich, noch nicht einmal vorstädtisch ist der Charakter des Ortes. In Dashanzi, wo 798 liegt, standen bereits seit den 50er Jahren Fabrikgebäude, die nun zu Galerien und Cafés transformiert sind, während hier nur Felder und Weiden waren.

 

 

Die Kunstmacher und -händler, die sich nun ansiedeln, bauen neu: Ziegelhäuser, die stilistisch zwischen Hutong und Bauhaus Dessau stehen, wie das Haus eines frühen Entdecker des Ortes, Ai Weiwei, Kunstfex und Mitgestalter des Olympiastadions „Vogelnest“. Von ihm heißt es seit seiner Kunstaktion Fairytale auf der Documenta 2007 in Kassel, er sei in Deutschland der „beliebteste Chinese“. Fairytale, das waren 1001 Chinesen, die in fünf Gruppen à 200 Personen für je eine Woche nach Kassel kamen. Sie nächtigten dort in einem großen Schlafsaal in der ehemaligen Zeltfabrik, Filmteams beobachteten sie im Kontakt mit der Stadt, der Kunst und den Menschen. Die Aufnahme der Chinesen durch die Einheimischen war sehr herzlich, das Projekt des Ai Weiwei erwies sich bei seinen Gastgebern als äußerst populär.

 

Haar verbindet

 

Die Hair Connection machte also ein Areal inmitten von Caochangdi zum Schauplatz ihrer Performance, ein Areal, das gerade fertiggestellt ist: zwei bis dreistöckige Gebäude, die aussehen, als stammten sie aus einem Gemälde von Giorgio de Chirico. Zwischen ihnen klingersteingepflasterte Straßen, Wege und Plätze, teils noch unvollendet. Galerien sind bislang nur vereinzelt eingezogen, Bauschutt und Baumaterial unterstreichen das Vorläufige der Szenerie. In der Nachbarschaft, einige Ecken weiter, ist auch die „Workstation“ des „Living Dance Studio Beijing“ der Choreographin Wen Hui und des Dokumentarfilmers Wu Wenguang, aus dem die chinesischen Teilnehmer des Projektes stammen.

 

Thematisch ist die Hair Connection eine Anknüpfung an zwei Projekte aus dem Jahr 2006: „... und HAAR und HAAR und HAAR und ... „ in Köln und „Public hair“ im Rahmen des Fringe Festivals in Shanghai. Ohne Haare, aber ebenfalls im öffentlichen Raum als „site-specific work“ präsentierte sich im Frühjahr 2007 „MAKADAM“ in Köln Kalk. Wurde Angie Hiesl bei jenem Projekt noch vorgeworfen, es fehle der Performance „ein roter Faden“, so wurde in der „Hair Connection“ nicht nur ein robuster Zopf zwischen Köln und Beijing geflochten, sondern mit massenhaft ausgestreuten chinesischen Lampions tatsächlich so etwas wie ein roter Faden ausgelegt, der den Zuschauer von einem Schauplatz der Performance zum anderen leitete.

 

Die metaphysischen Straßenzüge des Kunstareals kreuzen auch die bodenständig den Alltag seiner Menschen durchziehende Hauptstraße des Dorfes. Dadurch konnte es einströmen, das unbearbeitete Leben, des Künstlers Rohstoff vor jener Stilisierung, die dann in der Performance zu besichtigen war. Und die Menschen, gerade auch die nicht extra angereisten, die von der Dorfstraße, haben es genossen, der deutsch-chinesischen Choreographie zuzuschauen. Die bewegte sich zwischen der zeremonialen Würde einer Springprozession und der ironischen Schulterung des schweren kulturgeschichtlichen Gepäcks, das wir normalerweise auf dem Kopf tragen, gleich, ob sich dort noch Haare befinden oder das nicht minder gravitätische Symbol ihrer spiegelblanken Abwesenheit. Neueste Forschungen wollen herausgefunden haben, dass bereits vor 200 000 Jahren Haupthaar ein Merkmal sozialen Status gewesen ist, weil für eine angemessene Pflege beeindruckender Frisuren die Hilfe vieler Mitprimaten erforderlich war.

 

Haarkult - Haarkultur

 

Haar, das ist Anspielung und Konkretum in allen Kulturen. Sitz von Kraft, Stolz und Würde. Objekt der Magie: wer Haare eines Menschen erwirbt, kann damit Liebes- und Schadenszauber betreiben. Die Art, wie Haar getragen wird, unterliegt der Mode und dem Reglement der Gruppen einer Gesellschaft. Frisur kann oktroyiert werden: wie der Zopf, den erst die Mandschu den bezwungenen Chinesen unter Androhung der Todesstrafe auferlegten, der im Abendland aber jahrhundertlang als klassisches Merkmal des Chinamannes galt. Das Abschneiden des Zopfes wurde am Ende der Qing-Dynastie zu einer lebensgefährlichen Geste politischen Aufbegehrens und ein nicht nur symbolischer Schritt auf dem Weg in die Moderne. Heute ist China neben Indien der größte Lieferant für menschliches Haar, nicht nur für die Perückenmacher der Welt, sondern auch für die Chemieindustrie, die aus dem Keratin der Haare Backmittel macht. Wie früher in Europa das Handwerk der Bader und Badstübner mit der Prostitution assoziiert wurde, firmieren heute in chinesischen Städten Huren oft unter dem Zeichen des Friseurhandwerks.

 

Die einzelnen Stationen der Hair Connection sind von großer Schönheit und stecken voll unentzifferbarer Chiffren. Das aber stößt den Zuschauer nicht ab, sondern zieht ihn nur noch tiefer hinein in jene Mischung aus Körper- und Seelenkult, die sich vor seinen Augen ausbreitet. Ein Kult, den man gut ertragen kann, da er trotz des Ernstes der Tänzer ironisiert wird durch die burlesken Details der Requisiten und Aktionen. Die Darsteller sind stets mit sich selbst, Eigen- und Fremdhaar oder einer Requisite beschäftigt. Lediglich in einer einzigen Szene nehmen sie Kontakt miteinander auf: aber auch das geschieht nur, um einen Protagonisten, der sich als Sperrgut in einem Koffer breitgemacht hat, aus der Szene zu führen.

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