27-04-2009 Beijing Rundschau
Markt, Moral und Leistung
von Matthias Mersch

Aber zurück zum grauen Alltag in den Bürotürmen von Frankfurt. Allerdings interessieren mich nun die Lebensbedingungen der Banker, die in den unteren Etagen arbeiten: Ein nach Tarifvertrag angestellter Bankmitarbeiter verdient im Jahr durchschnittlich 46 200 Euro. Verglichen mit dem, was der Durchschnittssteuerbürger zur Verfügung hat, ist das schon ziemlich gut, wie wir noch sehen werden. Investmentbanker können in fetten Jahren dank erfolgsabhängiger Vergütungen mit einem zweistelligen Millionenbetrag rechnen. Wie viele der 680 500 in diesem Bankensektor tätigen Leute allerdings zu den Spitzenverdienern zählen, ist unbekannt. Der private Bankensektor, zu dem etwa Deutsche Bank, Commerzbank oder Hypo-Vereinsbank zählen, beschäftigt rund 190 000 Mitarbeiter, von denen 32 Prozent außertariflich entlohnt werden, aber mit zwei Dritteln aller Personalaufwendungen zu Buche schlagen. Man schätzt, dass die Zahl der Spitzenverdiener mit über einer Million Euro Jahreseinkommen im niedrigen vierstelligen Bereich liegt. Fazit: es kann auch unterhalb der Vorstandsebene erstaunlich viel verdient werden, allerdings ist der Personenkreis der Spitzenverdiener nicht eben groß. Das wird besonders augenfällig, wenn wir einen genaueren Blick auf die 35 Millionen deutschen Steuerbürger des Jahres 2004 werfen: Die Hälfte, also 17,5 Millionen Steuerpflichtige, versteuern ein Jahreseinkommen von 20 bis 25 000 Euro. Weitere 25 Prozent geben ein Einkommen von unter 50 000 Euro an, zu ihnen zählen die tariflich entlohnten Banker. Alle Vorstandsmitglieder und erfolgreichen Investmentbanker gehören der Gruppe der Steuerzahler an, die einen Jahresverdienst von mehr als 125 000 Euro ausweisen. Es sind dies ganze 1,6 Prozent aller Steuerzahler Deutschlands! Selbst bei größter Selbstbescheidung in der Zuweisung von Grundgehalt, Boni und Vergütungen würden die Spitzenfunktionäre des Bankwesens noch lange nicht aus der hauchdünnen Schicht deutscher Großverdiener fallen.

Vorleistung - Ableistung - Minderleistung

Dass die Frage der leistungsgerechten Entlohnung gerade in einem Bereich nicht so einfach zu beantworten ist, der wie kein anderer von genauesten Abrechnungen auf „Heller und Pfennig" lebt, erscheint auf den ersten Blick absurd. Aber das Bankengeschäft verfügt doch über sehr verschlungene Wege zum Erfolg seiner Mitarbeiter. Heften wir uns für einen Moment an die Fersen eines Bankers, der es mittlerweile zu beträchtlicher Bekanntheit gebracht hat: Jens-Peter Neumann. Am Beginn seiner Karriere steht ein Studium, dessen Inhalte mit „unterkomplex" noch höflich umschrieben sein dürften, wenn man das akademisch klingende „Studium der Wirtschaftswissenschaften" auf den wirklichkeitsnäheren Begriff der „Betriebswirtschaftslehre" herunterbricht, die Neumann belegt hat: darin werden die Fähigkeiten des guten alten Kaufmanns geschult und die entsprechenden Fertigkeiten eher im Rahmen einer Lehre als im Rahmen eines akademischen Studiums erworben. Der Titel, der Herrn Neumann als Ergebnis seiner Studien verliehen wurde, spiegelt dies wider: Diplom-Kaufmann. Im Alter von 25 Jahren startete er 1984 seine berufliche Laufbahn in der Sparte Kapitalmarkt bei der Dresdner Bank. Nach Stationen in New York, London und Frankfurt bei den renommiertesten Brokerhäusern des Erdkreises landet er schließlich vor ziemlich genau drei Jahren, im März 2006, wieder bei der Dresdner Bank, die ihre überaus diversifizierten Aktivitäten auf dem Kapitalmarkt in der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein zusammengefasst hatte. Dort wurde er am 1. April 2006 Head of Capital Markets, berichtspflichtig nur noch Stefan Jentzsch, Vorstandsmitglied des Bereichs Corporate and Investment Banking, der ihn damals überschwänglich an Bord begrüßte: „Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich Global Capital Markets. Ich bin davon überzeugt, dass Jens-Peter Neumann das bereits starke und bewährte Capital Markets Franchise von DrKW noch weiter ausbauen und damit zu unserem profitablen Wachstum beitragen wird."

Das Wort „Risiko", so scheint es, hatten die Banker mittlerweile aus ihrem Wortschatz gestrichen, prompt ereilte sie ihr Schicksal: das Jahr 2008 schloss die Kapitalmarktsparte der Bank mit einem Verlust von 6,3 Milliarden Euro ab. Statt zu einem „profitablen Wachstum" hatte Neumann seiner Bank also zu einer veritablen Schrumpfkur verholfen. Im August 2008 wurde die Dresdner Bank von der Commerzbank übernommen, und die hat dann im Januar 2009 Gelder aus dem staatlichen Hilfsfonds für die Finanzwirtschaft in Höhe von 18 Milliarden Euro bezogen.

Neumann verließ im Januar die Dresdner Bank, nicht ohne kurz vor seinem Weggang noch einen Bonus in Höhe von drei Millionen Euro einzustreichen. Jetzt hat er Klage beim Arbeitsgericht Frankfurt eingereicht, weil ihm seiner Meinung nach weitere Zahlungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro zustehen. Die Dresdner konterte mit einer Klage auf Rückzahlung der bereits ausgehändigten drei Millionen Euro. Ein Vergleichstermin ist geplatzt, voraussichtlich im August wird es zur Verhandlung kommen. Im Februar hatte die Commerzbank sämtliche erfolgsabhängigen Prämien für 2008 gestrichen. Daraufhin hatte unter anderem der ehemalige Bankchef Herbert Walter auf seinen Bonus verzichtet.

Natürlich kenne ich nicht den Vertrag, den der erfolgsverwöhnte Herr Jentzsch mit Jan-Peter Neumann abgeschlossen hatte, aber ich kann mir denken, dass Neumanns Ansprüche nicht ganz unbegründet sein dürften. Und ich muss ihm Recht geben: wenn sein Arbeitnehmer Boni in der genannten Höhe zugesichert hat, dann pocht Neumann zu Recht auf ihre Auszahlung, denn warum sollte er Mitleid mit dem Geschäftsgang eines Unternehmens haben, das ihn offenbar in einer Weise hat agieren lassen, die der Bank schließlich zum Schaden gereichte. Ich nehme nicht an, dass er einen Vertrag unterschrieben haben würde, der ihn dazu verpflichtet hätte, seine Boni zurückzuzahlen, wenn der Geschäftsmotor ins Stottern gerät.

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