27-04-2009 Beijing Rundschau
Markt, Moral und Leistung
von Matthias Mersch

Wer mich und Neumann nun für geldgierige, amoralische Schurken hält, will ich auf eine höchst interessante Tatsache aufmerksam machen: die UBS, die 2007 einen Verlust von 3,47 Milliarden Euro hinnehmen musste, ist es gelungen, den Verlust im Jahre 2008 sogar auf 13,81 Milliarden zu erhöhen. Nach weiteren Verlusten im ersten Quartal 2009 in Höhe von 1,3 Milliarden stehen weitere 2500 Entlassungen in den Schweizer Filialen der Bank an. Seit 2007 ist der Mitarbeiterbestand weltweit bereits um 8000 Banker gesunken. Das hat die Bank jedoch nicht davon abgehalten im vierten Quartal 2008 äußerst eifrig um neue Spezialisten im Bereich Investment Banking zu werben. Gut 200 Broker soll die UBS von anderen Häusern abgeworben und den Neuen dabei bis zu 260 Prozent mehr als deren bisheriges Jahreseinkommen geboten haben. Hilfreich ist der Bank die Tatsache beigesprungen, dass sie durch Nichterreichen entsprechender Ertragsziffern auf die Auszahlung von Boni im Wert von 22 Millionen Euro verzichten konnte. Die aggressive Mitarbeiterwerbung hat indes die Konkurrenz unter Druck gesetzt: die in den Strudel der Finanzkrise geratene und mit Hilfsgeldern der US-Regierung aufgefangene Citigroup hat im Januar ihr Brokergeschäft mit Morgan Stanley zusammengelegt. Die Auflagen aus dem Rettungspaket legen strengste Zurückhaltung in Sachen Managergehälter auf, aber um die von der UBS umworbenen Broker im Hause zu halten, wollen die Investmentbanker nun drei Milliarden US-Dollar aufwenden! Welche rare Kunst, frage ich mich, müssen die so heftig umworbenen Broker beherrschen, dass man so auf ihre Dienste versessen ist?

Hier stellt sich eine Frage, die nicht so einfach mit Zahlen zu beantworten ist, nämlich die nach Moral, Leistung und angemessener Gegenleistung. Man wird den Verdacht nicht los, dass alle hübschen Appelle an die Kunst des Maßhaltens und der bescheidenen Lebensführung, die man nun auch aus dem Munde von Bankvorständen hört, nicht Einsicht und Umkehr geschuldet sind. Es handelt sich wohl eher um Lippenbekenntnisse, die das Tagesgeschehen diktiert. Denn der Bär ist los und frisst sich schön langsam an der Realwirtschaft satt, aber in den Brokerhäusern macht man sich bereits wieder fit für das nächste Bullenrennen.

Erst kommt dies und das, dann die Moral!

Der Erzbischof von München-Freising heißt passender Weise Marx und hat daraus bereits Kapital geschlagen, indem er ein Buch unter dem Titel „Das Kapital" veröffentlichte. In einem Interview mit dem „Handelsblatt" hat er zur Jahreswende 2008/2009 über Börse, Banken, Wirtschaft und den Menschen gesprochen:

„Wenn ich als Bankmanager ein Zertifikat verkaufe und dabei denke: 'Ich selber würde es nicht kaufen, aber ich verkaufe es, weil ich dafür einen Bonus bekomme.' Das ist sicher ethisch nicht in Ordnung. Langfristig ist es auch unvernünftig, wenn die Bank den Kunden halten will." Die Börse, sagt er, sei kein moralfreier Raum. Und dann: „Wir dürfen nicht von den Menschen etwas fordern - auch in der Moral nicht -, was unvernünftig ist."

Die Frage nach den Grenzen den Gewinnstrebens wird hier sehr klar beantwortet, nämlich in der Tradition Konfuzius', Aristoteles' und Kants: die Grenzen, die sich der Mensch selbst aufzuerlegen hat, sollten von seiner Vernunft gezogen werden und in der einfachen aber probaten Maxime bestehen, niemandem etwas zuzumuten, was man nicht selbst willig ertragen würde. Mehr als fraglich bleibt jedoch, ob sich von diesen Grundsätzen ein Bewusstsein leiten lässt, von dem der Kommunikationsberater Egbert Deekeling in einem Gespräch mit der Financial Times Deutschland sagt, es reagiere „überrascht" auf seinen Vorschlag, einen Teil der Manager-Bezüge zu spenden oder in Stiftungen einfließen zu lassen, denn dies diene doch „der inneren Balance. Es gibt einem das richtige Verhältnis zu so einem hohen Verdienst. Ein bisschen Dankbarkeit gegenüber der Gesellschaft, für die Chancen, die sie einem gegeben hat, und ein bisschen Demut sind dafür nötig."

Dann vielleicht doch lieber auf die „Gesetze des Marktes" vertrauen? Nehmen wir das Beispiel von Großverdienern aus der Welt des Sports, also im weiteren Sinne der Stars der Massenunterhaltung: Yao Ming verfügt über ein Jahreseinkommen von 41,7 Millionen Euro, David Beckham bekommt 32,4 Millionen und Jürgen Klinsmann erhält einschließlich der Erlöse aus Werbeverträgen gerade einmal bescheidene 5,5 Millionen Euro im Jahr. Nun lässt sich natürlich immer streiten, ob diese Honorare durch die Ballkünste der Helden gerechtfertigt sind oder nicht, aber der Markt scheint sie herzugeben und weder aus der NBA noch von den in Frage stehenden europäischen Fußball-Clubs ist zu hören, sie seien vom Pleitegeier umkreist. Ein weiterer Gesichtspunkt ist wichtig: die Beträge scheinen leistungsabhängig zu sein. Zwischen Formkrisen und Krisen in der Beliebtheit der Stars, die sich ziemlich rasch auf ihren Marktwert auswirken, besteht ein wahrnehmbarer Zusammenhang. In der Zwischenzeit trägt und erträgt der Markt die hohen Honorare.

Im Gegensatz zum Showbusiness scheint das Bankwesen eine Methode gefunden zu haben, die bislang - meist zum Schaden der Bürger - nur Staaten und Staatsunternehmen vorbehalten gewesen war: einen Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten ohne Rücksicht auf eine Balance der Einnahmen und Ausgaben, kurz: die vollkommene Abkoppelung von betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, von Soll und Haben und einem nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen diesen beiden grundlegenden Kategorien der Buchhaltung. Dies gelingt den Banken in dem sicheren Bewusstsein, gar nicht untergehen zu können, weil man die Öffentlichkeit durch die schiere Größe der Defizite in Geiselhaft genommen hat. Ob das allerdings dauerhaft eine Gesellschaft am Leben erhält, die man vernünftig nennen könnte?

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Mehr dazu:
Wie viel sollen Manager staatseigener Betriebe verdienen?
 
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