31-07-2014
Bildergeschichte
Geschichten aus der Dunkelkammer
von Wei Yao

 Wie alte Fotografien die Geschichte einer chinesischen Familie ans Licht brachten

 

 

Fotografie, wie wir sie kennen, gibt es erst seit 175 Jahren. Schon fast genauso lange gibt es die Tradition chinesischer Familien, zum Fotografen zu gehen und besondere Momente auf Film zu bannen. Fast jede Familie bewahrt einen großen Haufen alter abgenutzter Fotos auf, früher waren es Schwarz-Weiß-Filme, heute sind es iPhone-Speicherkarten, die dokumentieren, wie eine kleine Familie zu einer großen, wie ein Baby zu einem Teenager, dann zu einer Mutter oder einem Vater heranwächst. Fotos frieren den Kleidungsstil, die Gesichter, die Frisuren und Landschaften einer Zeit ein. Es sind Dokumente von unschätzbarem Wert, die dazu dienen, ein Bündel an historischen Informationen auf einzelnen, zeitlosen Fotos zu konservieren.

Nach den technischen Fortschritten der letzten zwanzig Jahre erfreuen sich Digitalkameras und Smartphones in China nun großer Beliebtheit. Fotografie ist so normal und leicht zugänglich wie Papier und Stift, es sind keine besonderen Fertigkeiten mehr vonnöten. Anders als in vergangenen Zeiten ist ein Familienporträt keine so altehrwürdige Tradition oder langgezogene Angelegenheit mehr, wie es das früher einmal war. Heute wird eine Geschichte aus Tausend Wörtern in einem Familien-Selfie erzählt. Besonders für junge Menschen sind digitale Bilder Schnappschüsse, die es wie Sand am Meer gibt, nicht dafür vorgesehen, jemals gedruckt und sorgfältig von Generation zu Generation weitergereicht zu werden.

Manche jungen Mitglieder alter Familien fangen gerade erst an, die Haufen alter Fotos und Porträts durchzusehen, die sich angesammelt haben. Sie hoffen durch die Fotos die Geschichte ihrer Familie, ihres Landes und ihrer jeweiligen Zeit kennenzulernen und festhalten zu können.

Wang Muqing (32) stammt aus Xi`an, der Hauptstadt der Provinz Shaanxi, und lebt heute in Beijing. Er ist durch alte Familienfotografien über interessante Geschichten gestolpert und hat sich einverstanden erklärt, 60 Jahre Familiengeschichte anhand von drei Fotos - aufgenommen in den Jahren 1952, 1982 und 2012 - mit der Beijing Rundschau zu teilen.

 

Das älteste der drei Fotos, aufgenommen 1952, zeigt Wangs Großeltern und Onkel mütterlicherseits. In diesem Jahr kehrte Wangs Großvater, Wang Yunxun, von den Schlachtfeldern des Korea-Kriegs (1950-1953) nach Beijing zurück. Wangs Großmutter Liu Jingyi diente zu dieser Zeit ebenfalls in der Volksbefreiungsarmee. Wie man auf dem Foto sieht, haben sich sowohl Wang als auch Liu dazu entschlossen, in Uniform zu erscheinen. Der Junge, ihr Erstgeborener Wang Yandi, trägt eine selbstgenähte blaue Hose mit Hosenträgern und ein kariertes Hemd, was in den 1950er Jahren beliebte Kleidungstücke für chinesische Kinder waren.

Wang Yunxun und Liu Jingyi bekamen insgesamt vier Kinder. Zu dieser Zeit bedeutete mehr Nachwuchs auch mehr Ruhm und Respekt für eine Familie. Die Gründung einer großen Familie wurde von der Regierung unterstützt, um beim Wiederaufbau der durch Kriege und Hungersnöte aufgeriebenen jungen Volksrepublik zu helfen. Laut Volkszählung aus dem Jahr 1953 betrug die Bevölkerungsanzahl auf Chinas Festland damals 530 Millionen, das entsprach 23 Prozent der Weltbevölkerung.

Heute ist Wang Yunxun 90 Jahre alt. Seine Frau ist 2012 gestorben. Obwohl seine Söhne und Töchter in Beijing leben, bleibt Wang Yunxun in Xi´an, wo seine Kinder ihn abwechselnd besuchen. Eigentlich ziehen traditionell nur wenige Chinesen in Altersheime, stattdessen ziehen sie es im Alter vor, bei ihren Kindern zu wohnen.

 

Das 1921 gegründete Fotostudio Dabei genießt großes Ansehen in Beijing und ist seit fast hundert Jahren für junge Paare und Familien der Favorit für Porträts. Auf diesem Foto, aufgenommen in den frühen 1980er Jahren, sind Wang Muqings Eltern in extravaganter Hochzeitsgarderobe zu sehen, die Kleidung, konnte man übrigens im Studio zu diesem Anlass ausleihen. In einer Zeit mit geringen Einkommen und wenig Waren konnten es sich chinesische Paare nämlich nicht leisten, Hochzeitskleider oder -anzüge zu kaufen. Eine einfache und schlichte Zeremonie war ein Muss.

Vor seiner Hochzeit hatte man Wang Xiangwen, Wang Muqings Vater, 1975 vorgeschlagen, sich an einer Universität einzuschreiben. Er hatte Glück. Während der Kulturevolution (1966-1976) eine Hochschulausbildung zu erhalten, war sehr vom jeweiligen Familienhintergrund und der Zustimmung der staatlichen Bildungsbehörden abhängig. An einer Universität immatrikuliert zu sein, war etwas Besonderes für einen chinesischen Jugendlichen. Einen breiten Zugang zu höherer Bildung gab es bis Ende 1977 nicht.

Wang Mei, Wang Muqings Mutter, durchlebte vor ihrer Hochzeit im Jahr 1982 eine Jugend voller Irrungen und Wirrungen. 1968 wurde sie während der Kulturrevolution als 16-jährige in die südwestliche Provinz Yunnan verschickt. Auf Anweisung von Mao Zedong ließen sich Millionen von Jugendlichen mit Schulbildung als Bauern bzw. Hirten auf dem Land nieder, was weitreichende Effekte auf eine ganze Generation hatte. Wang Meis Eltern zogen beispielsweise während ihres Aufenthalts in Südchina von Beijing nach Xi`an. Davon wusste Wang Mei aufgrund mangelnder Kommunikation bis zu ihrer Rückkehr nach Beijing vier Jahre später nichts.

 

Foto aufgenommen 2012

Dieses Foto aus dem Jahr 2012 zeigt Wang Muqing bei seiner Hochzeit mit Liu Cong in Beijing. Im Unterschied zu Wangs Eltern tragen die Frischvermählten für das Foto teure maßgeschneiderte Hochzeitskleider. Heute lässt fast jedes Paar eine Serie aufwändiger Hochzeitsfotos machen, um solche feierlichen Momente festzuhalten.

Im Vergleich zur Generation seiner Großeltern und Eltern gehört Wang zu einer glücklichen Generation. Er wurde 1982 in Xi`an in Zeiten der Ein-Kind-Politik geboren. Diese Politik wurde 1979 eingeführt, um die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme, die durch die steigende Bevölkerungszahl entstanden waren, zu mindern. Er arbeitet heute, nachdem er 2005 ein Studium an der Sport-Universität in Beijing abgeschlossen hat, als Beamter in der Hauptstadt. Wie die Generation seines Vaters und die davor glaubt auch Wang Muqing daran, dass ein glückliches und gesundes Leben in Beijing in der Tat bedeutet, den chinesischen Traum zu leben.

 (Mit freundlicher Genehmigung von Wang Muqing)