07-02-2014
Im Focus
Wieso China den Besuch des Yasukuni-Schreins durch japanische Politiker ablehnt
von Gao Hong

 (Vizedirektor des Japan-Instituts an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften)

 

Ende letzten Jahres hat Japans Premierminister Shinzo Abe trotz starker Proteste aus China, Südkorea und sogar aus den eigenen Reihen den bekannten Yasukuni-Schrein zur Feier seiner einjährigen Amtszeit besucht. Diese Handlung hat die chinesische Regierung und das chinesische Volk sehr erzürnt und die chinesisch-japanische Beziehung weiterhin belastet, die ohnehin schon aufgrund der Streitigkeiten über die Diaoyu-Inseln sehr angespannt war.

Wieso hat Abes Schreinbesuch soviel Aufruhr verursacht? Wieso können die Chinesen diesen Besuch nicht tolerieren?

Wir können vielleicht eine Antwort auf diese Frage finden, indem wir einen näheren Blick auf Japans Geschichte werfen und die Bedeutung des Yasukuni-Schreins für die Japaner erforschen.

 

Inakzeptable Besuche

Wenn japanische Politiker den Yasukuni-Schrein besuchen, dann ist es so, als würde man Salz in die Wunden der ehemaligen Opferländer streuen, die großes Leid durch die grausamen Taten der japanischen Armee erdulden mussten. Auch wenn fast 70 Jahre vergangen sind – die Erinnerungen an den 2. Weltkrieg sind nach wie vor lebendig und schmerzen. Selbst heute noch rufen die chemischen Waffen, die die Japaner damals in China eingesetzten, teilweise noch Schäden hervor.

Was noch schmerzlicher ist, anders als die Deutschen, die sich wiederholt für ihr Verhalten im 2. Weltkrieg entschuldigt haben, haben viele japanische Politiker es nicht über sich gebracht, für ihr Vergehen entschuldigende und reumütige Worte zu finden. Auch wenn ein offizieller Friedensvertrag zwischen China und Japan unterzeichnet wurde, so hat unter den gegebenen Umständen keine wirkliche Versöhnung zwischen den beiden Ländern stattgefunden. Folglich ruft der Besuch des Yasukuni-Schreins viel Unbehagen und Sorge bei den Chinesen hervor.

Diejenigen, die verantwortlich waren für die Planung und Durchführung aggressiver Kriege, sollten nicht geehrt, sondern universell verachtet werden. Die Soldaten, die im Yasukuni-Schrein geehrt werden, sind Feinde der Menschheit und ihre Sünden sollten ihnen nicht vergeben werden. Es sind die schlimmsten Kriegsverbrecher, die dort geehrt werden, verantwortlich für die Tötung von Abertausenden von Chinesen. Sie setzten skrupellos chemische Waffen ein und führten Menschenversuche an Kriegsgefangenen und Zivilisten durch. Auch wenn es unklar ist, wie viele chinesische Kriegsopfer es insgesamt gab, so steht außer Frage, dass Japan im 2. Weltkrieg China 14 Jahre lang unterworfen und verwüstet hat. Die Kriegsverbrechen der japanischen Armee sind in den Tokioter Prozessen (offiziell: Internationaler Militärgerichtshof für den Fernen Osten), die nach dem 2. Weltkrieg stattfanden, festgehalten und dementsprechend offiziell und international anerkannt.

Es stimmt schon, dass China und Japan die Vergangenheit hinter sich lassen sollten, doch die wiederholten Versuche Japans, seine Verbrechen herunterzuspielen oder sogar zu verleugnen, machen es sehr schwer. Durch sein verantwortungsloses Verhalten erinnert Japan China, Südkorea, Nordkorea und andere Opferländer immer wieder an die schmerzvollen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Sie können nicht umhin, sich vor den neuen Plänen des Inselstaates zu fürchten.

Auch wenn die japanische Regierung behauptet, sich bereits 23 Mal entschuldigt zu haben, so zerstört ein einziger Besuch des Yasukuni-Schreins durch den japanischen Ministerpräsideten alle aufrichtigen Bemühungen und lässt Entschuldigungen wie leere Worte erscheinen, die nur aus taktischen Gründen geäußert wurden.

Auch aus der globalen Perspektive entspricht das Verhalten des japanischen Premierministers nicht dem internationalen Recht und universellen Werten. Was seine außenpolitischen Beziehungen angeht, so sollte Japan nicht seine eigenen, nationalen kulturellen Werte überbewerten, sondern sich an den internationalen moralischen Standard anpassen. Der Yasukuni-Schrein hat nichts mit dem chinesischen Denkmal für die Helden des Volkes oder dem russischen Grabmal des unbekannten Soldaten gemeinsam, die lediglich zur Ehrung der im Krieg gefallenen Soldaten errichtet wurden.

Der Yasukuni-Schrein unterscheidet sich auch vom amerikanischen Nationalfriedhof Arlington aus folgenden Gründen: Erstens, Arlington ist keine religiöse Stätte. Zweitens, Arlington ist keine Brutstätte für Militarismus, die den Krieg verherrlicht, denn kein amerikanischer Soldat glaubt daran, dass es dem Seelenheil nutzt und spirituellen Frieden bringt, hier begraben zu sein. Der Yasukuni-Schrein jedoch war der spirituelle Ort der japanischen Soldaten, die an den Aggressionskriegen teilgenommen hatten. Ihren „Mut", der sie zu den blutigen Taten im Krieg angetrieben hatte, verdankten sie ihrem Traum, in diesem Schrein beerdigt zu werden. Drittens, es gibt kein Archiv, das Amerikas Rolle bei der Versklavung von Afrikanern oder im Korea- und Vietnamkrieg rechtfertigt. Anders als im Yasukuni-Schrein, der das Yushukan-Museum beherbergt, das die vergangenen japanischen Aggressionskriege verherrlicht und würdigt. Aus diesem Grund ist es unmöglich, den Yasukuni-Schrein als einfaches Denkmal für unbekannten Soldaten zu akzeptieren.

 

Haltlose Entschuldigungen

Japanische Politiker haben versucht, ihre Schreinbesuche mit Begriffen wie „alte Tradition", „Glaubensfreiheit" und „Wille des Volkes" zu rechtfertigen, die jedoch alle nicht ausreichen. Mitte der 80er Jahren des letzten Jahrhunderts haben Nakamura Hajime and Takeshi Umehara, zwei japanische Wissenschaftler und Experten auf dem Gebiet japanischer Religion und Kultur, ganz klar Widerspruch gegen die Schreinbesuche erhoben. Ihrer Ansicht nach verstießen die Besuche eindeutig gegen die Prinzipien des Shintoismus. 2004 veröffentlichte Takeshi Umehara einen Artikel in der japanischen Zeitschrift „Sekai", in dem er Gründe dafür nennt, wieso die Schreinbesuche gegen japanische Werte verstoßen würden.

Außerdem meidet der japanische Kaiser diesen Ort. Er beendete seine Besuche des Yasukuni-Schreins, nachdem hier 1979 die schlimmsten Kriegsverbrecher begraben wurden. Dies unterstreicht zusätzlich, wie falsch der Besuch des japanischen Premierministers ist. Folglich ist die Argumentation japanischer Politiker, „alten Traditionen zu folgen", nicht haltbar. Der Besuch des Yasukuni-Schreins ist alles andere als eine „Ehrung traditioneller Kultur", sondern eher eine Art Selbstdarstellung eines japanischen Politikers, der auf mehr Beliebtheit hofft und die Überlegenheit der japanischen Nation vor Augen führen will.

Abes Schreinbesuch war nicht nur fatal für seine Beziehung zu den ostasiatischen Nachbarländern, sondern auch für die Beziehung zu den USA und der restlichen Welt. Washington drückte seine Enttäuschung über Abes Fehltritt öffentlich aus, was Japans Politikern zu denken gab.

Vielleicht erhoffte sich Abe mehr Unterstützung und Popularität beim japanischen Volk – vor allem die Rechtsgerichteten mögen seinen Schritt als „mutig" ansehen. Doch Abe vergisst, dass die Mehrheit des Volkes den Ruf des Landes nicht gefährden will. Die internationale Gemeinschaft hat auch die öffentliche Meinung in Japan beeinflusst. Nicht nur Proteste aus China, Südkorea, Russland und Vietnam wurden laut, auch kritische Stimmen aus Amerika, Europa und den Vereinten Nationen haben zugenommen und mit ihnen die japanische Kritik.

Die Geschichte und die Verhandlungen über die Diaoyu-Inseln sind die zwei größten Faktoren, die die chinesisch-japanische Beziehung belasten. Ein Faktor allein würde schon ausreichen, um die ohnehin wackelige bilaterale Beziehung zu gefährden. Doch die gleichzeitige Verschärfung beider Faktoren ist umso gefährlicher. Wenn Shinzo Abe noch etwas an seinem Volk liegt und er noch darauf hofft, die Beziehung mit China zu entspannen, dann sollte er in Zukunft vorsichtiger sein, was seine Schreinbesuche angeht.