14-03-2015
Im Focus
Neue Herausforderungen für Chinas Diplomatie
von Kerry Brown

Eine ganze Reihe unterschiedlicher globaler Fragen stellt Chinas Diplomatie auf die Probe

Diplomatischer Gastgeber: Chinas Staatspräsident Xi Jinping (vordere Reihe, 2. v.li.) mit den Staatsoberhäuptern von Wirtschaftspartnern aus dem Asien-Pazifik-Raum bei ihrer jährlichen Tagung in Beijing am 11. November.

 

Am 5. März begann die jährliche Tagung des Nationalen Volkskongresses, des obersten gesetzgebenden Organs Chinas. Sowohl der Arbeitsbericht der Regierung, den  Ministerpräsident Li Keqiang bei der Eröffnung präsentierte, als auch die Pressekonferenz am Rande der Veranstaltung von Außenminister Wang Yi am 8. März, machten eines mehr als deutlich: Die Ereignisse innerhalb Chinas stehen in  Verbindung zur Außenwelt und haben grundlegende Auswirkungen auf sie. Umgekehrt haben auch die Ereignisse in der Außenwelt große Auswirkungen auf China. Daher kommt der Suche nach einer Harmonie zwischen Außen- und Innenwelt enorme Bedeutung zu.

Diese Harmonie aber ist schwer zu erreichen, wie schon der ehemalige britische Diplomat Robert Cooper in seinem Buch klarmachte. Denn während die Regierung versuchen kann, die Hebel der Macht und der Einflussnahme bei inneren Angelegenheiten zu kontrollieren, sind die meisten dieser Hebel irrelevant und wirkungslos, sobald man die eigenen Grenzen übertritt. Bei außenpolitischen Angelegenheiten beschränkt sich die Auswahl der Einflussmöglichkeiten auf das Vorgehen der anderen auf moralische Überzeugungskraft, den Appell an das Eigeninteresse und – im extremsten Fall – auf Gewalt. Jedes Mittel bringt hohe Risiken und eine erhebliche Fehlerquote mit sich.

China muss über diese Fragen nachdenken, denn im Hinblick auf seine internationale Rolle und seinen internationalen Status befindet es sich nun in einer einzigartigen Position, die zwar vielversprechend ist, aber auch zahlreiche Gefahren und Herausforderungen beinhaltet. Der von Wang präsentierte Themenkatalog unterstreicht diese neue Situation. Es gibt wenige Orte in der Welt, an denen China keine Position beziehen muss, ob es um Angelegenheiten im Mittleren Osten und dort besonders um Irans potenzielles Atomprogramm geht, um Entwicklungsprobleme in Afrika, Russlands Probleme mit Amerika und Europa wegen des Ukraine-Konflikts oder Angelegenheiten vor der eigenen Haustür wie in Indien, Myanmar und Nordkorea. All diesen Themen musste Wang entsprechend Zeit widmen.

Ironischerweise war die Reaktion auf die wichtigste aller außenpolitischen Beziehungen, die zu den USA, am unkompliziertesten. Staatspräsident Xi Jinping wird die Vereinigten Staaten noch in diesem Jahr besuchen und damit eine beispiellose Periode beidseitigen Engagements auf höchster Ebene fortsetzen. Wenige bedeutende Staatsoberhäupter der Welt haben sich so gut kennengelernt wie Xi und Präsident Barack Obama. Die Früchte dieser Beziehung zeigten sich in der überaus wichtigen Klimavereinbarung zwischen beiden Ländern in Beijing im vergangenen November. Die chinesisch-amerikanischen Beziehungen sind komplex, aber sie werden gegenwärtig auf beiden Seiten durch ein sehr reales Fundament aus gemeinsamen Interessen und Verständnis gestützt. Das sind gute Nachrichten für den Rest der Welt.

Abgesehen von den Beziehungen zu den USA werden die Dinge schnell weniger einfach. Unter Xis Führung hat China damit begonnen, die Außenwelt mit einer Reihe von "Meta-Formeln" zu beschreiben – leicht zu behaltende Slogans, mit denen die Beziehungen anderer Regionen und Länder zu China in einem Satz zusammengefasst werden. China und die USA bauen ein neues Modell für Beziehungen zwischen Großmächten auf; China und die USA haben eine Partnerschaft für Frieden, Wachstum, Reform und Zivilisation etabliert. Mit Russland und Afrika strebt China nach unterschiedlichen umfassenden strategischen Partnerschaften. Der ehrgeizigste dieser Begriffe ist die "Neue Seidenstraße" oder das, was Wang "den Gürtel und die Straße" nannte, beides umfasst ein riesiges Netz aus unterschiedlichen Ländern von Zentralasien bis in süd- und südostasiatische Regionen.

Dieser Ausdruck funktioniert in zweierlei Hinsicht. Obwohl eine große Bandbreite an Ländern und Partnern in die „Neue Seidenstraße" involviert ist, schafft die Wortwahl ein Gefühl der Gegenseitigkeit. Die Seidenstraße und die maritime Seidenstraße sind unter unterschiedlichen Partnern aufgeteilt, beide Projekte betonen gemeinsame Verbindungen in Handel und Kultur. Ihre grundlegende Übereinstimmung liegt in gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen, etwas, das am besten an das allgemeine Verständnis davon, was am nutzbringendsten ist, appelliert und wo es starke Anreize gibt, sich mit anderen auf einer gleichberechtigten Basis zu engagieren. Dennoch reicht das Konzept der Seidenstraße – das von Gegenwart und Zukunft handelt – zurück in die Geschichte und zu Modellen des Engagements, die in einigen Fällen seit vielen Jahrhunderten existieren. Das sorgt für ein größeres Gefühl der Stabilität. Es geht nicht um etwas, das ganz neu begonnen wurde, sondern eher etwas, das neu aktiviert und belebt wird.

Wegen seiner aktuellen wirtschaftlichen Bedeutung braucht China Botschaften wie diese, durch es sich der Welt verständlich machen kann. In den vergangenen zehn Jahren versuchte man es mit Begriffen wie "friedliche Entwicklung Chinas", aber dadurch wurden ausländische Partner eher misstrauisch, weil die Betonung mehr auf China als auf seinem Platz in der Welt lag. Der neue Diskurs ist in gewisser Weise erfolgreich, indem er deutlich stärker den globalen Kontext thematisiert. "Neuartige Beziehungen zwischen Großmächten" mit den USA , "Partnerschaft für Frieden, Wachstum, Reform und Zivilisation" mit der EU und "Neue Seidenstraße" enthalten nicht ein einziges Mal das Wort "China". Sie vermitteln stattdessen eine kosmopolitische Perspektive. In diesem Sinn sind sie durch die Idee von China als kosmopolitischer Macht verknüpft.

Das bringt uns zu der heiklen Frage, wie China mit der Verantwortung umgeht, eine neue und bedeutende kosmopolitische Macht zu sein. Wang erwähnte diesbezüglich einige Punkte, beispielsweise die Beziehungen zu Indien, Russland und Iran. Die angedeutete Taktik lautete in diesen Fällen, starke Handelsverbindungen und so gewichtige Investitionszuflüsse sicherzustellen, um die Partner zumindest in verantwortungsvolle Pflichten und respektvolle Beziehungen einzubinden. China hat trotz der anhaltenden Krise wegen der Ukraine seine solide Verbindung zu Russland aufrechterhalten und im vergangenen Mai einen wichtigen neuen Energievertrag abgeschlossen. Es nimmt außerdem als Vermittler an wichtigen Verhandlungen mit dem Iran über sein Atomprogramm teil, eine Rolle, die ihm durch wichtige Investitionen und seine Energieinteressen im Iran ermöglicht wird. Im Rahmen bilateraler Besuche reiste Xi im vergangenen Jahr zu Chinas Riesennachbarn Indien und gab neue Investitionen von mehr als 20 Milliarden US-Dollar bekannt.

Chinas Verbindungen zu jedem dieser Staaten bringen es außerdem in die Situation, künftig in potenzielles Krisenmanagement involviert zu werden. Indiens Hauptproblem sind  seine ungelösten Grenzfragen. Es wäre ein großer diplomatischer Erfolg für Indien und China, bei diesem Thema Einigkeit zu erzielen, auch wenn es zurzeit wenig Anzeichen für einen bevorstehenden Durchbruch gibt. Da die zwei größten Entwicklungsländer der Welt jedoch weiter an Bedeutung gewinnen, werden  Unsicherheit und Instabilität aufgrund der Grenzprobleme zunehmend paradox. Vielleicht wird es leichter, über die Grenzfragen zu diskutieren und sie werden sich von selber lösen, wenn erst einmal die gemeinsamen Wirtschaftsinteressen so groß sind, dass sie andere Probleme überwiegen. Chinas ehemaliges Staatsoberhaupt Deng Xiaoping sprach häufig über Probleme, die in der Gegenwart unüberwindbar schienen, sich aber am Ende fast von alleine lösten. Darauf müssen wir in auch dieser Situation hoffen.

Die Probleme mit dem Iran und Russland sind jedoch von größerer Dringlichkeit. China muss kurz- und mittelfristig auf wachsenden diplomatischen Druck wegen beider Angelegenheiten vorbereitet sein. Iran ist zwar der dramatischere Fall, aber wahrscheinlich ist hier ein Kompromiss noch am ehesten möglich. Die USA haben unter Obama ihren Antrieb verloren, bei der Lösung der anscheinend endlosen Probleme im Mittleren Osten die Führung zu übernehmen. Ihnen ist daran gelegen, neue Partner zu finden. Der Krieg in Syrien ist schmutzig geworden, er lässt Raum für Extremisten und Fanatiker. Ein nukleares Moratorium mit dem Iran, trotz der Kriegstreiberei von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei seiner Rede im US-Kongress Anfang März, ist weiterhin die bevorzugte Option. China spielt hier offensichtlich eine sehr wichtige Rolle und hat sich bislang damit zufrieden gegeben, sie  durch eine Reihe von Gesprächen mit der iranischen Seite zu erfüllen, wie Wang deutlich gemacht hat.

Russland ist jedoch ein problematischerer Fall. Die Beziehungen zwischen Russland und Europa haben sich genau wie zu den USA rapide verschlechtert. Russlands Präsident Wladimir Putin ist in Europas Hauptstädten und Washington heftig kritisiert worden. Illustre Persönlichkeiten wie Henry Kissinger haben vor einem drohenden neuen Kalten Krieg gewarnt. In Moskau sind die Ressentiments über die Einmischung der USA und vor allem Europas wegen des Konflikts mit seinem Nachbarn in den letzten Jahren gewachsen. Der Anfang des Jahres vereinbarte Waffenstillstand in der Ukraine erscheint wenig stabil. In den USA steigt der Druck, eine Bewaffnung ukrainischer Kämpfer zu erwägen. Dies hätte in der hochgradig explosiven und instabilen Region unvorhersehbare Konsequenzen.

China hat eindeutig positive Beziehungen zu allen involvierten Parteien, von Russland bis hin zu den USA, aufrechterhalten. Es hat ein starkes strategisches Interesse an der Stabilität der zentralasiatischen Region. Es wünscht sich ein positives, vorhersehbares regionales Umfeld, da es weiterhin vor zahlreichen Entwicklungsproblemen steht, wie sie Ministerpräsident Li am 5. März umrissen hat. Die jüngsten Spannungen zwischen Russland und anderen Ländern wird Beijing daher mit Sorge beobachten. Wang bekräftigte erneut Chinas Verpflichtung zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, eine langjährige politische Haltung seit Mitte der 1950er Jahre. Aber Probleme wie der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zeigen, wie verschwommen jetzt die Grenzen zwischen der Innen- und Außenwelt für Nationalstaaten geworden sind. China könnte sich durchaus aufgefordert sehen, schweren Herzens eine Vermittlerrolle bei internationalen Streitigkeiten zu übernehmen, weit häufiger und stärker, als es dies will. Dies ist größte  Herausforderung für Chinas neue Diplomatie, die wir herannahen sehen.