11-08-2015
Im Focus
Hengdian, eine Stadt voller Schauspieler, die ihre Träume leben wollen.
von Yuan Yuan
 

„In Hengdian ein Filmstar zu werden, ist hoffnungslos", sagt Xu Zhenbin, der schon seit zehn Jahrn in Hengdian lebt.

Xu musste sich eingestehen, während seines Aufenthaltes nicht einen einzigen Aufstieg eines unbekannten Schauspielers erlebt zu haben. „Man kann leicht erkennen, wer gerade erst angekommen ist und wer schon länger hier lebt. Die Neuankömmlinge tragen meist ihre beste Kleidung, während die ‚Einwohner' sich nicht mehr kümmern, da man ohnehin die Kostüme trägt, die von den Filmcrews vorbereitet wurden. Sie kommen daher meist in legerer Kleidung daher", sagt er.

Xu's Bemerkungen werden von Wan bestätigt.

Wan trat einmal in einer Fernsehserie als Soldat auf. „Das Kostüm, das sie mir gaben, war so unglaublich dreckig und voller Schweißflecken, dass ich meine Zweifel hatte, es wäre jemals gewaschen worden", erinnert sich Wan.

„Es ist nahezu unmöglich für uns, eine wichtige Rolle in einem Kinofilm oder Fernsehdrama zu bekommen.", sagt Xu. „Die Hauptdarsteller und Nebencharaktere werden bereits ausgewählt, bevor die Crew überhaupt ankommt. Wir bekommen nur die zusätzlichen Rollen."

Am Geburtsort von einem Drittel der chinesischen Kinofilme und Fernsehdramen, die vom alten China handeln, ist der Bedarf an zusätzlichen Rollen aber groß. Allein im Jahr 2014 kamen 178 Crews nach Hengdian. „Wenn man hart genug arbeitet, muss man sich nicht wegen Arbeitsgelegenheiten sorgen", findet Xu.

Die Bezahlung erfolgt nach verschiedenen Stufen. Im Wesentlichen werden sie in zwei Gruppen kategorisiert: reguläre und spezielle Statistenrollen. Jede hat einen unterschiedlichen Mindestlohn: 40 Yuan (6,44 USD) pro Tag um herumzugehen, mit zusätzlicher Bezahlung für Küsse (15 USD), Nacktheit (150 USD), im Wasser liegen, sich tot stellen, usw.

Die speziellen Rollen sind aber für jene reserviert, die als gutaussehend gelten. Sie können, je nach Art der Produktion, zwischen 500 und 1.000 Yuan bekommen. Manche bekommen auch kurzen Text in den Rollen der Dienerinnen der Königinnen, der namenlosen Konkubinen usw.

Die Bezahlung wurde von der Gewerkschaft der Amateurschauspieler in Hengdian ausgehandelt. Sie wurde im Jahr 2003 gegründet und ist dafür zuständig, den Markt der Statisten zu managen und ist ein Bindeglied zwischen den Statisten und den Crews. 

Jeder Amateurschauspieler, der nach Hengdian kommt, muss sich bei der Gewerkschaft registrieren und bekommt eine vorübergehende Schauspiellizenz, bevor er die erste Rolle bekommt.

„Seit dem Jahr 2003 haben wir rund 30.000 Schauspieler registriert", sagt ein Mitarbeiter der Gewerkschaft, der anonym bleiben möchte.

Die Zimmermietpreise in Hengdian reichen von 200 Yuan (32 USD) bis 1.000 Yuan. Für rund 10 Yuan (1,60 USD) pro Tag kann man sich ernähren. Der durchschnittliche Statist, der etwa 40 Yuan am Tag verdient, kann sich daher kaum Geld für zukünftige Ziele zur Seite legen.

„Daher kann ich hier keine Hoffnung mehr sehen", sagt Yu Chen, ein 24-jähriger Mann aus der Provinz Shandong. Yu war zwei Jahre in Hengdian, aber hat sich nun entschlossen, die Stadt in den kommenden Monaten zu verlassen. „Fast jeder, der hierher kommt, träumt davon, ein Star zu werden. Das ist, weshalb einige trotz aller Schwierigkeiten bleiben wollen."

Für Yu ist Hengdian ein Ort für junge Abenteurer. „Man kann hier im Alter von rund 20 Jahren herkommen und dann wieder gehen. Aber ist unrealistisch, auf diese Weise zu leben und ein stabiles Leben zu haben."

 

Niemande und Jemande

Yee Tung Shing, ein bekannter Filmregisseur aus Hong Kong, entschloss sich im Jahr 2013, einen Kinofilm über das Leben der Amateurschauspieler in Hengdian zu drehen, nachdem er mit über 300 von ihnen gesprochen hatte.

Aufgewachsen mit einem Silberlöffel, da beide Eltern in der Hong Konger Filmindustrie tätig waren, war Yee seit seinem 4. Lebensjahr auf der Leinwand. Er hat das, was die Statisten auf sich nehmen, nie erlebt und sein erster Besuch in Hengdian war nicht schön.

„Es war im Winter 2012 und es war wirklich kalt dort", erinnert sich Yee. „Das Klima in Hengdian ist grausam, da es im Sommer, von Juni bis September, sehr heiß ist. In diesen vier Monaten kommen keine Filmcrews und da es im Winter so kalt ist, frage ich mich, wo diese Leute bleiben."

Das entscheidende Argument für Yee war dieser Satz von einem der Amateure: „Wenn ich nicht komme, werde ich es den Rest meines Lebens bereuen. Wenn ich komme, werde ich vielleicht zwei Jahre meins Lebens verschwenden, das ist nicht so schlimm."

„Jeder hat das Recht, seinen Träumen zu folgen und niemand hat das Recht, zu urteilen, ob so ein Traum realistisch ist oder nicht", sagt Yee. „Ich finde, die Geschichten dieser Menschen müssen aufgezeichnet werden."

Wan wurde für die Rolle des Helden im Film ausgewählt. „Zuerst dachte ich, es wäre ein Scherz oder Betrug und ich wollte es nicht glauben, bis der Regisseur persönlich kam, um mich zu sehen", erinnert er sich.

„Einige Leute begannen zu weinen, als sie mich sahen, da sie in all den Jahren hier noch nie eine Chance bekommen hatten, mit einem echten Regisseur zu sprechen", fügt Yee hinzu.

Der Film, der am 7. Juli vorgestellt wurde, ist mehr eine Dokumentation, der die Geschichten aus dem echten Leben der im Film vorgestellten Personen erzählt. Der chinesische Titel des Films lautet wörtlich „Ich bin niemand", wohingegen der englische Titel „I Am Somebody" lautet.

Zuerst wollte Yee, der auch das Drehbuch für den Film geschrieben hatte, eine „realistisches" Ende haben. „Die Realität ist immer hart und die Wahrheit hier ist, dass diese Statisten, die kaum Bildung haben und absolut keinen Schauspielunterricht hatten, niemals die Zukunft haben werden, von der sie träumen."

Doch schlussendlich ergab sich Yee den Wünschen der Menschen um ihn herum und machte ein warmes Happy End daraus. Wan findet seine große Liebe und bekommt eine Rolle in einem großen Kinofilm.

„Wie ein berühmtes Sprichwort in Hengdian besagt: Du brauchst erst einmal einen Traum – der dann wahr werden könnte", sagt Yee.

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