31-10-2012
Kultur und Kunst
"Freunde" gefunden
von Tang Yuankai

Amerikanische TV-Serien haben ein dankbares Publikum im Internet

 

Standfoto aus der amerikanischen TV-Serie "Desperate Housewives"

 

Standfoto aus der chinesischen Sitcom "Wo ai wo jia" (Ich liebe meine Familie)

"Es ist das Ende einer Epoche!", so die Stimmung unter unzähligen Netzbürgern Chinas, als sich die vier Heldinnen der vom amerikanischen TV-Sender ABC produzierten Serie "Desperate Housewives" („Verzweifelte Hausfrauen") am 14. Mai vom Publikum verabschiedeten. Eine Woche später flimmerte auch beim Konkurrenzsender Fox eine Kultsendung zum letzten Mal über die Mattscheibe: die Ärzteserie "House M.D." („Dr. House") hauchte ihr Leben aus.

In den Trauergesang der amerikanischen Fans der Serien, die acht Jahre lang den Zuschauern Unterhaltung vom Feinsten boten, stimmten auch Fans aus China ein, ungeachtet der mehr als 10 000 Kilometer Distanz zur Heimat der TV-Stars: Millionen von Chinesen haben die Abenteuer ihrer Helden über das Internet verfolgt. Nach der letzten Folge von "Desperate Housewives" wurden auf diversen Mikroblogs mehr als eine Million Kommentare gepostet. Amerikanische Serien wie "House M.D." und "Desperate Housewives" werden zwar in China nicht vom Fernsehen ausgestrahlt, ihr Publikum aber finden sie dennoch, da vorwiegend junge Leute die Geschichten über das Internet verfolgen.

Publikumslieblinge

"Ich kann mich noch genau an die Szene aus "Desperate Housewives" erinnern, die uns unser Lehrer in der Englischstunde in der Oberschule gezeigt hat. Acht Jahre sind eine lange Zeit, und wir sind mit der Serie aufgewachsen", sagt  Xia Xiaonuan, eine begeisterte Anhängerin der Hausfrauen, auf ihrem Mikroblog.

"Die Serie hat mich seit meiner Mädchenzeit wie eine gute Freundin durchs Leben begleitet", sagt Xu Duoduo, eine fünfundzwanzigjährige Mutter aus Beijing und eine treue Zuschauerin von Anfang an. Während die vier Titelheldinnen im Verlauf der Serie so einiges auszustehen hatten – Krankheit, Mord, Scheidung und Wiederverheiratung – ging es bei Xu zwar weniger spektakulär zu, aber immerhin wurde aus dem Teenager eine junge Mutter. Und so erging es natürlich vielen, die mit den populären TV-Serien aufgewachsen sind. Für das chinesische Publikum haben amerikanische TV-Serien eine immer größere Rolle gespielt – auch jenseits der bloßen Unterhaltung.

"Ganz abgesehen von den raffinierten Wendungen der Handlung beeindrucken mich amerikanische TV-Serien durch das fundierte Hintergrundwissen und die sehr professionelle Machart", sagt Wang Fan (28) aus Chongqing.

Nachdem er die populäre Krimiserie "Lie to Me" gesehen hat, in der es um die Aufklärung von Kriminalfällen durch Untersuchung von so genannten Mikroexpressionen – flüchtige Gesichtsausdrücke, die nur Sekundenbruchteile dauern – geht, hat Wang seinerseits damit angefangen, die Mimik der Menschen etwas genauer zu betrachten.

"Es ist faszinierend, dass Amerikas Drehbuchautoren und Regisseure Unterhaltungsprogramme so professionell gestalten", meint Wang.

Ein Massenpublikum fanden amerikanische TV-Serien in China erstmals in den 80er Jahren. 1980 strahlte der Staatssender China Central Television (CCTV) "Man from Atlantis" (produziert 1977/1978) aus. Diese kurzlebige, nach heutigen Maßstäben eher platte Science- Fiction-Serie schlug das chinesische Publikum sofort in seinen Bann. Nach Jahrzehnten der Isolation von der Außenwelt waren die Menschen äußerst scharf darauf, etwas über die westliche Welt zu erfahren. Die Serie wurde zu einem Ereignis mit Breitenwirkung und markierte den Beginn des langen Weges der Reform- und Öffnungspolitik.

Damals waren viele Haushalte noch ohne Fernsehapparat, außerdem waren nur wenige heimische TV-Anstalten auf Sendung. 1979 ermunterte die Zentralregierung alle lokalen TV-Sender zur Produktion von TV-Serien, für die große Nachfrage bestand. Jeder Sender, der in der Lage war, zwölf Folgen im Jahr auszustrahlen, wurde mit Auszeichnungen belohnt.

Für das chinesische Publikum der frühen achtziger Jahre war der "Mann aus Atlantis" neu und aufregend. Viele Sprüche aus der Serie errangen Kultstatus unter den jungen Zuschauern. Sogar die Sonnenbrille, die Mark Harris, die von Patrick G. Duffy verkörperte Titelfigur der Serie, trug, wurde zum unverzichtbaren Accessoire cooler fashion victims, die von ihnen nur als "Mark glasses" sprachen. Sein Schwimmstil wurde landauf, landab imitiert. Ganz nebenbei sorgte die Serie noch für die Verbreitung eines neuen sportlichen Zeitvertreibs in China: Frisbee spielen!

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