14-08-2015
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Ein Germanistikstudent wird Polizist
von Maike Schulte

Großer Andrang bei einer Jobmesse für Fremdsprachenstudenten in Beijing. Nur wenige finden nach einem Sprachstudium problemlos eine passende Arbeit (Archivfoto)

„Ich liebe Deutschland", sagt Yao Yuan (23) aus Langfang in Hebei, der an der Zweiten Fremdsprachenuniversität in Beijing Germanistik studiert hat. Doch in seinem Berufsleben gibt es im Moment keinen Platz für seine persönlichen Interessen. Nach seinem Bachelor-Abschluss arbeitet er als Polizist am Tian'anmen-Platz in Beijing.

Schon während seiner Schulzeit habe er sich für Deutschland interessiert, erzählt der 23-jährige, ohne dass er sich an einen genauen Auslöser für seine Vorliebe erinnern kann. Denn in der Schule war Deutschland kein Thema und auch sonst wusste er nicht viel darüber. „Für mich war Deutschland einfach ein ordentliches und ruhiges Land, ein angenehmer Ort", sagt Yao Yuan. „Es war mein Traum, dort einmal länger zu leben."

Nach der Schule entschied er sich daher für ein Germanistikstudium an der Zweiten Fremdsprachenuniversität von Beijing, erst dort begann er mit dem Erlernen der deutschen Sprache. Seine Studienzeit hat er in positiver Erinnerung. „Das Verhältnis unter den Kommilitonen war gut, die Atmosphäre familiär", berichtet er, der Fachbereich war mit 44 Studenten überschaubar. Im Rahmen seines Studiums machte er auch einen einmonatigen Sprachkurs an der Universität Essen-Duisburg, sein bislang einziger Aufenthalt in Deutschland. „Es hat mir dort sehr gefallen und ich wäre gern länger geblieben", sagt er.

Ein paar Kritikpunkte hat er im Nachhinein dennoch an seinem Studium. „Ich fand es an der Uni zu entspannt, für die Arbeitsdisziplin musste man ganz alleine sorgen", sagt er. Der Schwerpunkt des Unterrichts habe außerdem mehr auf Kultur und Literatur gelegen, statt wie angekündigt auf touristischen Themen. Seinem Interesse für Land und Leute hat das jedoch keinen Abbruch getan. Yao ist leidenschaftlicher Filmfan und kennt sich gut mit deutschen Produktionen aus. „'Soul Kitchen'" von Fatih Akin habe ich zig Mal gesehen", erzählt er, zurzeit liest er den „Zauberberg" von Thomas Mann.

Seine Familie hat sich - für China recht ungewöhnlich - wenig in seine Studiums- und Berufsplanung eingemischt. „Ihnen waren meine Noten nicht so wichtig, genauso wie die Auswahl meines Studienfachs. Sie sind der Meinung, dass es meine Sache ist, mich um meine berufliche Zukunft zu kümmern", erklärt er. Entsprechend entspannt ist er an seine Jobsuche herangegangen. „Ich hatte keine konkreten Pläne", sagt er, „außerdem gibt es in China oft keinen Zusammenhang zwischen Studium und Beruf."

Einen wirklichen Traumjob gibt es für Yao nicht. „Ich will eine Arbeit, die mir Freiräume lässt und die zu mir passt. Ob das auf einen Job zutrifft, kann ich sowieso erst herausfinden, wenn ich ihn eine Weile gemacht habe", erläutert er seine pragmatische Herangehensweise. Sein Hauptziel nach dem Studium war es, eine stabile Arbeit zu finden. Daher bewarb er sich u.a. bei einer Bank und bei der Polizei, die ihn dann auch angenommen hat.

Heute sorgt er als Polizeibeamter für Sicherheit am Tian'anmen-Platz, die Arbeit bedeutet für ihn finanzielle Stabilität und sie gewährt ihm die Vorteile eines Hukous (Anm.: eingetragener Wohnsitz) für Beijing. Doch ein Job für die Ewigkeit ist es nicht. „Ich würde gerne noch meinen Master in Germanistik machen. Oder in einem ausländischen Unternehmen bzw. als Lehrer arbeiten, denn es wäre schön, wenn meine Arbeit etwas mit Deutsch zu tun hätte", zieht er nach rund einem Jahr Polizistendasein Bilanz.

Trotz der unsicheren Berufsaussichten würde er sich aber auch heute wieder für ein Germanistikstudium entscheiden. „Allerdings würde ich meinen Schwerpunkt dann eher auf die Wirtschaft legen", lautet sein Fazit.