15-07-2014
Chinesisch-Deutsche Beziehungen
Die Dynamik erhalten: Angela Merkel zu Besuch in China
von Yu Lintao

Die Reise der Bundeskanzlerin sollte deutschen Unternehmen mehr Geschäftsmöglichkeiten eröffnen. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf dem Südwesten des Landes.

 
Hühnchen auf Sichuan-Art: Während ihres Chinabesuchs lernte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 6. Juli in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, wie man die chinesische Spezialität Kung Pao Chicken zubereitet
 

Bundeskanzlerin Angela Merkel verdient es, eine alte Freundin des chinesischen Volkes genannt zu werden. Am 8. Juli absolvierte sie bereits ihre siebte Chinareise seit ihrer Amtsübernahme im Jahr 2005. Statt Beijing war diesmal Chengdu, die Hauptstadt der Provinz Sichuan, erste Station ihres dreitägigen Besuchs. Am Rande des offiziellen Programms besuchte Merkel einen Markt und lernte von einem Koch, wie man die Spezialität der Region, Kung Pao Chicken, zubereitet. Abgesehen von dieser kulinarischen Erfahrung konzentrierte sich die Kanzlerin vor allem auf die Weiterentwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit China.

Erkundung von Chinas Westen

In Interviews mit chinesischen Medien bestätigte der deutsche Botschafter Michael Clauss, dass Merkel persönlich Chengdu als erste Station ihrer Reise ausgesucht hatte. Diese Entscheidung zeige das starke Interesse deutscher Unternehmen an Investitionsmöglichkeiten in zentral- und westchinesischen Regionen, erklärte Cui Hongjian, Direktor des Bereichs Europastudien am Chinesischen Institut für Internationale Studien. Sichuans Bevölkerung umfasst 80 Millionen Menschen, das entspricht ungefähr der Größe der deutschen Bevölkerung. Aufgrund des umfassenden Urbanisierungsprozesses in China sind große und kleine Städte damit beschäftigt, ihre Infrastruktur zu modernisieren, dazu zählen Müllentsorgung, Wasser- und Stromversorgung, Leitungen und Straßen sowie Technologie und Finanzdienstleistungen. Deutsche Banken haben daher großes Interesse an der Region; während ihres Besuchs wurde Merkel von mehreren wichtigen Bankern, darunter ein Topmanager der Deutschen Bank, begleitet.

Deutschland ist bereits jetzt ein bedeutender Investor in Sichuan. Vor allem Chengdu gilt bei deutschen Unternehmen als wichtiges Sprungbrett in den relativ wenig entwickelten Westen Chinas. Gegenwärtig sind rund 160 deutsche Firmen in Chengdu angesiedelt. Seit 2011 entwickelt das Traditionsunternehmen Bosch hier Kontrollsysteme für Autokarosserien und Elektrogeräte. Im vergangenen Jahr richtete Siemens eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung ein, um Produkte für die industrielle Automatisierungstechnik zu entwickeln. Es ist das erste digitale Unternehmen, das der Konzern außerhalb Deutschlands gegründet hat. Merkel nahm in Chengu außerdem an einem Forum über Urbanisierungskooperationen zwischen Sichuan und Deutschland teil. Es folgte eine Besichtigung der Produktionsanlage von Volkswagen. In Sichuan produziert VW die Modelle Jetta und Passat und nimmt den Markt für Elektrofahrzeuge ins Visier. Passend dazu nahm Merkel bei ihrem anschließenden Besuch in Beijing an einer Zeremonie zum Start des deutsch-chinesischen Electric Vehicle Charging Project an der Tsinghua-Universität teil, ein Projekt, das deutschen Autoherstellern ihren Vorsprung auf Chinas Elektrofahrzeugmarkt sichern soll.

Wegen des riesigen Entwicklungspotenzials der Regionen im Westen Chinas kamen vor Merkel schon zahlreiche andere Staatsoberhäupter und Regierungschefs zu Besuch. Im vergangenen Jahr machte Großbritanniens Premierminister David Cameron auf seiner Chinareise in Chengdu Station. US-Vizepräsident Joe Biden besuchte die Stadt 2011, Kanadas Premierminister Stephen Harper kam 2012 nach Chongqing im Südwesten Chinas. Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye reiste nach Xi'an, der Hauptstadt der nordwestchinesischen Provinz Shaanxi, um sich ein Bild von Investitionsprojekten des Elektronikriesen Samsung zu machen.

 

Nachhaltige Partnerschaft

Deutschen Beobachtern zufolge haben die deutsch-chinesischen Beziehungen ein „goldenes Jahrzehnt" hinter sich. Aber nur wenige wagen einen Blick in die Zukunft. Merkels jüngster Chinabesuch hat hier eine positive Botschaft gesendet, China und Deutschland scheinen von einer nachhaltigen Partnerschaft zu profitieren.

Als sich Chinas Wachstumsrate in den vergangenen Jahren abschwächte, zeigten sich manche Länder besorgt über die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Die deutsche Geschäftswelt demonstriert dessen ungeachtet ihr konstantes Vertrauen in China. Es ist damit zu rechnen, dass die deutschen China-Exporte in diesem Jahr um 8 Prozent steigen werden. Statistiken aus einer Umfrage der Deutschen Außenhandelskammer in China zeigten, dass mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen glaubt, dass sich Chinas wirtschaftliches Umfeld weiter verbessern wird, sobald der wirtschaftliche Wandel an Fahrt gewinnt.

In ihrer Rede an der Tsinghua-Universität in Beijing erklärte Merkel am 8. Juli, dass sich das relativ langsame Wirtschaftswachstum durch die unterschiedlichen Wachstumsraten in den verschiedenen Regionen Chinas erklären lasse. Chinas Wirtschaft sei immer noch sehr vital, besonders schnell lege sie im Westen des Landes zu, so die Bundeskanzlerin. Deutsche Unternehmen seien bereit, an der Entwicklung Zentral- und Westchinas mitzuwirken. Auf der anderen Seite seien chinesische Investitionen in Deutschland willkommen, man plane, Visaformalitäten zu straffen, um den persönlichen Austausch zu erleichtern, so Merkel weiter. Die Kanzlerin betonte, dass die ganze Welt von einer gesunden chinesischen Wirtschaft profitieren könnte, Chinas Regierungspolitik habe globale Auswirkungen, auch auf Deutschland.

China und Deutschland hätten einen wichtigen Rahmen für Wirtschaftskooperationen abgesteckt, die große Pläne für eine „grüne Wirtschaft" einschließen, betonte Cui. Er sieht großes Kooperationspotenzial in den Bereichen neue Energien, Umweltschutz und Urbanisierung. Merkels häufige Chinabesuche zeigten, wie wichtig China für Deutschland sei, ergänzte Ji Mingkui, Professor für Internationale Studien an der National Defense University in Beijing.

Deutschland ist zurzeit Chinas wichtigster Handelspartner in Europa, China ist nach den USA Deutschlands zweitwichtigster Exportmarkt außerhalb Europas. Das beiderseitige Handelsvolumen betrug im vergangenen Jahr 161,6 Milliarden Dollar, fast ein Drittel des gesamten Handelsvolumens zwischen China und der EU. Der gesunde Zustand der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen liege darin begründet, dass sich die Ökonomien beider Länder gut ergänzten, erklärte Ji. Deutschland versorge China mit Produkten, die es für seine Industrialisierung benötige, darunter Maschinen, spezielle Chemikalien und Elektronikprodukte; im Gegenzug befriedige China die große Nachfrage nach bezahlbaren Verbrauchsgütern in Deutschland.

Chinesische und deutsche Unternehmen unterzeichneten während Merkels Besuch mehrere Vereinbarungen, darunter eine Übereinkunft zum Kauf deutscher Hubschrauber. Beide Seiten einigten sich auf die Errichtung einer neuen Produktionsanlage für ein Joint Venture zwischen der chinesischen FAW Group und Volkswagen. Außerdem wurde der Bau eines „Ökoparks" in Qindgao (Provinz Shandong) beschlossen, in dem energieeffiziente Gebäude präsentiert werden sollen. Air China, eine der führenden Fluglinien des Landes, unterzeichnete eine Vereinbarung mit seinem Star Alliance Partner, der deutschen Lufthansa.

 

Mit gutem Beispiel vorangehen

Es ist erwähnenswert, dass Merkels Chinabesuch mit dem 77. Jahrestag des Beginns des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression zusammenfiel. Auch wenn ihre Reise in keinem Zusammenhang damit stand, stehen die Einstellungen Deutschlands und Japans im Hinblick auf ihre Kriegsgeschichte doch in auffälligem Kontrast.

Sie habe kein Recht, ein Urteil über die japanische Regierung zu fällen, erklärte Merkel in ihrer Rede vor Studenten der Tsinghua-Universität. Aus deutscher Sicht sei es wichtig, dass man „nicht zulasse, dass sich eine tragische Geschichte noch einmal wiederholt." Die Deutschen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Verhalten während des Kriegs reflektiert. „Jeder von uns muss über seine Fehler nachdenken", erklärte sie, viele junge Deutsche hätten in den 1960er Jahren ihre Eltern über das Leben während der Nazizeit befragt. „Es ist ein schmerzhafter Prozess, aber es ist der richtige Weg. Auch die neue Generation muss sich der Geschichte stellen, das ist entscheidend, um nicht die gleichen Fehler noch einmal zu machen", so Merkel.

Auch wenn die Kanzlerin damit bloß Deutschlands Haltung zur Kriegsvergangenheit noch einmal bekräftigte, forderten Beobachter, dass Japan daraus eine Lektion für seine Auslandsbeziehungen lernen sollte.